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Gewürze aus Indien verfügen über ein reiches kulturelles und regionales Erbe und sind auf der ganzen Welt beliebt.  Die Gewürzindustrie trägt maßgeblich zu den indischen Exporten sowie zum Bruttoinlandsprodukt des Landes bei. Im April 2024 wies die Behörde für Lebensmittelsicherheit in Hongkong jedoch auf das Vorhandensein von krebserregenden Pestizidrückständen, Ethylenoxid (EO), in mehreren aus Indien importierten Gewürzmischungen hin. Trotz der raschen Untersuchung und der anschließenden Maßnahmen der indischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und -standards sind die staatlichen Vorschriften für die Verwendung von EO in Indien nach wie vor problematisch, insbesondere im Inland. Internationale Organisationen sind nur begrenzt in der Lage, die Vorschriften durchzusetzen und gesündere Alternativen einzuführen.

Die indische Küche ist weltweit für ihre vielfältigen Gewürze bekannt und genießt seit Jahrhunderten hohes Ansehen. Ihre Geschichte ist ebenso reichhaltig und komplex wie die Aromen der Gewürze selbst. Von den lebhaften Straßen Mumbais bis zu den friedlichen Backwaters von Kerala hat jede Region Indiens ihre eigenen speziellen Gewürzmischungen, die ihre einzigartige Kultur widerspiegeln. Die Kunst der Herstellung dieser Mischungen, bekannt als Masala, wird oft innerhalb von Familien über mehrere Generationen hinweg weitergegeben. In ihrem wundervollen Roman „Der Gott der kleinen Dinge“ thematisiert Arundhati Roy die komplexe Kulturgeschichte Kerelas, welche durch Gewürze wie Pfeffer und Kurkuma symbolisiert wird.  Sie schreibt, wie „grüne Mangos, geschnitten und mit Kurkuma und Chilipulver gefüllt“, „mit Bindfaden zusammengebunden“ werden.

Es ist daher nicht überraschend, dass Indien eine wichtige Rolle im globalen Gewürzhandel spielt und über 200 Gewürzsorten exportiert, darunter Kardamom, Zimt, Chilipulver, Kreuzkümmel, Safran und Kurkuma.  Gewürze weisen vielfach auch medizinische Eigenschaften auf. Kurkuma ist für seine entzündungshemmenden und antioxidativen Eigenschaften bekannt und spielt eine wichtige Rolle in Currys. Kreuzkümmel fördert die Verdauung, indem er die Enzyme der Bauchspeicheldrüse anregt. Aufgrund seines warmen, erdigen Geschmacks wird er in einer Vielzahl von Gerichten verwendet. Chilischoten, die eine herausragende Rolle in der indischen Gewürzküche einnehmen, enthalten das Alkaloid Capsaicin, das für seine stoffwechselanregende, schmerzlindernde und möglicherweise auch krebshemmende Wirkung bekannt ist.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass Indien weltweit der größte Produzent und Verbraucher von Gewürzen ist. Im Jahr 2024 wurden indische Gewürze im Wert von rund USD 4,25 Mrd exportiert. Es wird prognostiziert, dass sich der Markt für Gewürze mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 8,11 % steigert und bis 2032 einen Wert von 15,74 Mrd. USD erreichen wird. Die indische Gewürzindustrie, die für ihre Qualität und Vielfalt bekannt ist, bietet Arbeit für Millionen von Landwirten die mit dem Anbau, der Verarbeitung und dem Vertrieb von Gewürzen beschäftigt sind.

Wenn Gewürze für die Lebensmittelproduktion und den Export aufbereitet werden, gibt es verschiedene Möglichkeiten, ihre Eigenschaften zu erhalten. Eine dieser Methoden ist die Verwendung von Ethylenoxid (EO). Ethylenoxid ist ein süßlich riechendes, farbloses Gas, das eine Vielzahl von Verwendungsmöglichkeiten hat. In geringen Konzentrationen findet es als Sterilisations- und Begasungsmittel in Lebensmittelgewürzen Verwendung, um Bakterien wie E. coli und Salmonellen zu eliminieren. Der Sterilisierungsprozess wirkt sich hemmend auf Hefen, Schimmelpilze und Bakterien aus, wodurch eine signifikante Verlängerung der Haltbarkeit der Gewürze erzielt wird. In seiner gasförmigen Form ist es in der Lage, atmungsaktive Verpackungen zu durchdringen.

Eine unzureichende Belüftung der mit EO behandelten Lebensmittel führt jedoch zu einer Rückstandsbildung. Dies kann zur Bildung von toxischen Verbindungen wie 2-Chlorethanol, Ethylenchlorhydrin und Ethylenglykol führen. Es existieren deutliche Hinweise dafür, dass diese toxischen Rückstände beim Menschen Krebs auslösen können. Es konnte ein Zusammenhang zwischen einer chronischen, geringen Belastung durch kontaminierte Gewürze und der Entwicklung von Leukämie, Magen- und Brustkrebs festgestellt werden.

EO-Rückstände können zu einer Reihe von negativen Auswirkungen führen, darunter Fehlgeburt, genetische- und Nervenschäden, periphere Lähmungen, Muskelschwäche, Lungenschäden und kognitive Beeinträchtigungen. Als Reaktion auf diese Bedenken haben internationale Organisationen wie die EU strenge Vorschriften und Höchstwerte für Rückstände in EO-Produkten festgelegt. Die International Agency for Research on Cancer (Internationale Agentur für Krebsforschung) hat die Verwendung von EO in der Lebensmittelproduktion als Karzinogen der Gruppe 1 eingestuft.

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Was passiert, wenn EO-Rückstände in Gewürzen in Indien gefunden werden? Und wie ist es dazu gekommen?

In einer Mitteilung vom 5. April 2024 wies die Abteilung für Lebensmittelsicherheit in Hongkong auf das Vorhandensein von EO in zwei aus Indien importierten Gewürzmischungen hin. Dabei handelte es sich um das Fisch-Curry-Masala-Pulver von Everest sowie um drei Gewürzmischungen von MDH (Mahashian Di Hatti).  Am 18. April 2024 initiierte die Singapore Food Agency (Lebensmittelbehörde Singapur) eine Rückrufaktion für das Fisch-Curry-Masala des Unternehmens Everest. Bis Ende April erließen fünf weitere Länder, darunter die USA, Neuseeland und Australien, entweder ein Verbot oder einen Rückruf oder kündigten an, importierte Gewürze aus Indien zu untersuchen.

Daraufhin leitete die Food Safety and Standards Authority of India (FSSAI) (Indische Behörde für Lebensmittelsicherheit und -standards) ein Programm von Inspektionen, Probenahmen und Tests von Gewürzmischungen ein. Die von Reuters zur Verfügung gestellten Daten offenbarten, dass 12 Prozent oder 474 von insgesamt ca. 4000 Proben, die zwischen Mai 2024 und Anfang Juli 2024 entnommen wurden, Mängel hinsichtlich der Qualität und Sicherheit aufwiesen. Die zuständigen Behörden gaben zu verstehen, dass entsprechende Maßnahmen ergriffen würden. Im Juni 2024 widerrief die FSSAI die Herstellungslizenzen von 111 Gewürzherstellern in ganz Indien.

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Es mag erstaunlich erscheinen, dass die Präsenz von EO über einen solch langen Zeitraum unerkannt blieb. Die indischen Gesetze schreiben nicht vor, dass Gewürze, die auf dem heimischen Markt verkauft werden, auf EO oder andere Pestizidrückstände getestet werden müssen, es sei denn, es gibt eine spezielle Anweisung der zuständigen Behörden. In einem Gespräch mit Scroll, einer unabhängigen indischen Nachrichtenwebsite, gaben Lebensmittelexperten zu Protokoll, dass eine Kontamination der Gewürzmischung mit EO auf zwei Wegen erfolgen könnte. Einerseits sei es möglich, dass das Pestizid auf Nutzpflanzen ausgebracht wurde, andererseits könne es als kostengünstiges Mittel zur Sterilisierung und Desinfektion von Gewürzen eingesetzt worden sein. „Gewürze, die gelagert werden, sind anfällig für Infektionen durch Keime wie Salmonellenbakterien“, erläutert Kaushik Banerjee, leitender Wissenschaftler des Indian Council of Agricultural Research (Indischer Rat für landwirtschaftliche Forschung). „Ethylenoxid kann helfen, die Bakterien abzutöten.“

„Es ist nicht als Pestizid unter dem Insecticide Act von 1968  (Insektizidgesetz von 1968), registriert und daher nicht reguliert“, sagte Deepak Shah, Vorsitzender der Crop Care Federation of India (Pflege der Kulturpflanzen Föderation von Indien). Ein Lebensmittelanalytiker, mit dem Scroll sprach, sagte, dass die meisten staatlichen Labore nicht über die nötige Ausrüstung zur Durchführung dieser Tests verfügen. Sie müssen sich an private Labors zur Untersuchung wenden.

Infolge der Entdeckung in Hongkong im April 2024 wurde seitens des Spices Board of India (Gewürzbehörde von Indien), einer dem Handelsministerium angegliederten Behörde, an die Gewürzhersteller appelliert, zukünftig auf die Verwendung von EO als Begasungsmittel zu verzichten und stattdessen alternative Sterilisierungsmethoden zu implementieren. Die neue Verordnung schreibt vor, dass alle für den Export bestimmten Gewürze auf EO getestet werden müssen.  Schockierender weise wurde für Gewürze, die auf dem heimischen Markt verkauft werden, kein solcher Test vorgeschrieben.

Diese Ereignisse verdeutlichen die Notwendigkeit einer Verschärfung globaler Vorschriften zur Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit sowie einer Stärkung des Verbraucherschutzes. Als alternative, innovative Technologien, welche die Verwendung von EO ersetzen können, sind beispielsweise Kaltplasma, Sterilisation mit gepulstem Licht, Dampfsterilisation, Bestrahlung und Hochdruckverarbeitung zu nennen.

Diese Methoden bieten eine sicherere und nicht-chemische Alternative zu EO.  Des Weiteren finden derzeit Gespräche mit internationalen Organisationen statt, um Grenzwerte für die Verwendung von EO in Gewürzen festzulegen. Dadurch soll die Sicherheit der Verbraucher gewährleistet und gleichzeitig ein hoher Qualitätsstandard im Handel sichergestellt werden.

Indien steht vor einigen großen Aufgaben. Eine dieser Herausforderungen ist die unzureichende Durchsetzung der Vorschriften zur Lebensmittelsicherheit sowie das Fehlen einer hinreichenden Anzahl staatlicher Prüflabore. Eine weitere Herausforderung für die FSSAI besteht in der Angleichung ihrer Vorschriften an internationale Standards, welche von Organisationen wie der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und der U.S. Food and Drug Administration (U.S. Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde) festgelegt wurden.

Die geografische Diversität des indischen Subkontinents sowie seine historischen Handelsrouten haben dazu geführt, dass die Welt eine breite Palette regionaler Küchen kennt, die jeweils ihre eigenen Gewürze verwenden.  Ein bekanntes Zitat aus der indischen Küche besagt: „Gewürze sind der Herzschlag der indischen Küche. Ohne sie verliert das Essen seine Seele“. Es ist jedoch von entscheidender Bedeutung, dass die indischen Gewürzhersteller die weltweiten Sicherheitsstandards einhalten, das Vertrauen in die internationalen Märkte zurückgewinnen und ihre eigenen Bürger schützen.

Fotos: Verschiedene Gewürze aus Indien © Pixabay and Alexandra Winterstein
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