2024 jährt sich die Eröffnung des Wiener Zentralfriedhofs zum 150 Mal. Der Wiener Zentralfriedhof ist mit über drei Millionen Bestattungen einer der größten Friedhöfe der Welt. Die Ruhestätte ist bekannt für ihrer Ehrengräber vieler berühmter Komponisten, Schauspieler, Künstler und Politiker. Die Wiener verbinden eine paradoxe Faszination mit dem Tod mit einer eigenen Einstellung, die sich auch in Wiener Sprüche und Lieder widerspiegelt. Heute ist der Friedhof ein ruhiger Schauplatz, der Besucher sowohl zu historischen Erkundungen als auch zu gemütlichen Spaziergängen inmitten des üppigen Grüns und der beeindruckenden Grabstätten einlädt.
Alexandra Winterstein
12. Dezember 2024
English version
Wenn sich die Blätter orange und gelb färben, wenn die Bäume braun und kahl sind, ziehen sich viele Menschen in sich zurück. Kein Wunder, dass Kulturen im Spätherbst ihre Toten ehren wollen. Traditionell ist dies die Zeit des Gedenkens an die Ahnen. Friedhöfe auf der ganzen Welt laden uns ein, unsere Lieben auf ihren Grabstätten zu besuchen.
Dieses Jahr wurde der 150. Jahrestag der Eröffnung des Wiener Zentralfriedhofs gefeiert. Aus diesem Anlass organisierte die Friedhöfe Wien GmbH eine Reihe von Ausstellungen und Veranstaltungen, die das reiche Erbe und die Bedeutung des Zentralfriedhofs für die Wiener widerspiegeln.
Kirche zum Heiligen Karl Borromäus © Pixabay
Der Wiener Zentralfriedhof ist nach dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg und dem Brockwood Cemetery in London der drittgrößte Friedhof Europas. Drei Millionen Menschen wurden bisher in 330.000 Gräbern beigesetzt und „es ist noch viel Platz“, so die Pressestelle der Wiener Friedhöfe. Die Vielfalt der Natur ist beeindruckend: 170 Tierarten leben neben 70 Pilz- und 200 Pflanzenarten, von denen einige auf der Liste der gefährdeten Arten stehen. Rehe streifen lautlos zwischen den Gräbern umher.
Grave of Johannes Brahms
Grave of Udo Jürgens
Grave of Johann Strauss (son)
Grave of Hugo Wolf
Der Wiener Zentralfriedhof ist mehr als nur ein Friedhof. Er ist ein Spiegelbild der Stadt, ihrer Bewohner und ihrer Geschichte. Der Friedhof erstreckt sich über eine Fläche von 2,5 Quadratkilometern, was in etwa der Größe der Wiener Innenstadt entspricht. Der Zentralfriedhof ist die letzte Ruhestätte vieler berühmter Österreicher, aber auch jener, die Wien zu ihrer Heimat gemacht haben: Links vom Haupteingang bei Tor 2 befinden sich die Gräber der Komponisten Ludwig van Beethoven, Franz Schubert und Johannes Brahms, in der Gruppe 32C ruhen Arnold Schönberg, Robert Stolz und Curd Jürgens. Weitere Berühmtheiten sind Johann Strauß (Vater und Sohn), Karl Renner, Otto Bauer und Victor Adler (Politiker), Friedrich Torberg, Arthur Schnitzler (Schriftsteller), Viktor Frankl (Psychologe), Hans Moser, Helmut Qualtinger, Hedy Lamarr (Schauspieler), Adolf Loos (Architekt) und natürlich Falco (Enfant terrible, Rockstar).
Der Zentralfriedhof entstand aus einer großen Notsituation heraus. Als die Bevölkerung Wiens Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs, stießen die großen Friedhöfe außerhalb des Stadtzentrums an ihre Kapazitätsgrenzen. Deshalb beschloss der Wiener Gemeinderat 1866 den Bau eines neuen „Zentralfriedhofs“, einer Begräbnisstätte für alle Toten Wiens, unabhängig von Konfession. Für die Gestaltung des Friedhofs wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, den die deutschen Gartenarchitekten Karl Jonas Mylius und Alfred Friedrich Bluntschli gewannen.
Die poetische und künstlerische Schönheit der Wiener Totenmetropole wurde vor allem durch die anmutigen Jugendstilbauten des österreichischen Architekten Max Hegele geprägt. Bis 1910 wurde der Wiener Zentralfriedhof durch die Errichtung des erhabenen Hauptportals der zweiten Pforte, der beiden Hallen am Hauptportal und der St. Borromäuskirche erweitert. Diese eindrucksvolle Friedhofskirche erhebt sich mit ihrer monumentalen Kuppel wie ein stiller Wächter über das Friedhofsgelände.
Den Wienern wird oft ein besonderes Verhältnis zum Tod nachgesagt, schreibt Peter Ahorner in seinem neuen Buch „Wien und der Tod“. Im Interview mit dem Verlag sagt er: „Der Wiener Zentralfriedhof ist fast ein Wallfahrtsort – nicht nur für die Verstorbenen. Dem Tod wird hier mit einem lockeren Humor begegnet, der in Wien einzigartig ist. Diese morbide Faszination, diese Wiener Gemütlichkeit, wollte ich auch beim letzten Abschied einfangen. Es ist die charmanteste Art, dem Unvermeidlichen ins Auge zu sehen.“
Die Wiener, sagt er, lachen über das, was sie nicht ändern können, und gehen mit schwarzem Humor mit der Unbequemlichkeit des Todes um, ohne den Ernst der Lage zu umgehen. Eine morbide Art von brutaler Offenheit: mehr Freund als Feind und der Tod als die einzig wahre Gerechtigkeit, der große Gleichmacher.
Vielleicht liegt es daran, dass Wien das Konzept der theatralischen Todeserfahrung erfunden hat? Die Wiener waren Profis, wenn es um Beerdigungen ging. Ein krönender Abschluss war auch für das bescheidenste Leben wichtig. Für „a schene Leich“, ein stilvolles, würdiges Begräbnis mit vielen Trauergästen, zahlte man in Sparvereine ein oder verschuldete sich. Ein neues, florierendes Bestattungsgewerbe war geboren, und der Zentralfriedhof war im Zentrum dieses Geschehens.
Sicherlich ließ man sich von der Pracht der barocken Adelsbegräbnisse inspirieren. Im Falle der regierenden Habsburger schlug sich dies in aufwendigen, prunkvollen Särgen nieder. Es begann im 18. Jahrhundert unter Maria Theresia, als mit „Pomp, Pracht und Prunk“ begraben wurde. Der „Pompfüneberer“, ein Dialektbegriff für Totengräber, leitet sich vom französischen „pomp funebre“ = pompöses Begräbnis ab; die Totengräber trugen Samt, schwarze Galakleider und zwei- oder dreispitzige Hüte. Die letzte Reise musste würdevoll und prunkvoll sein, als ob man sich damit einen besseren Platz im Himmel sichern könnte.
Im Laufe der Jahre wurde der Wiener Zentralfriedhof kontinuierlich erweitert: 2014 wurde ein Bestattungsmuseum eröffnet, das Exponate zum historischen Begräbniswesen und Totenkult in Wien zeigt. In der Präsidentengruft vor der Friedhofskirche, der Karl-Borromäus-Kirche, wird aller seit 1945 verstorbenen österreichischen Bundespräsidenten gedacht. Heute gibt es rund 950 Gedenkgräber, die Besucher aus aller Welt anziehen.
Um die Erreichbarkeit des Friedhofs zu verbessern, wurde eine Pferdebahn gebaut, die 1901 durch eine elektrische Straßenbahn ersetzt wurde. Seit 1907 ist diese Linie als Linie 71 des Wiener Straßenbahnnetzes bekannt. Der „71er“ ist tief in die Wiener Kultur verwurzelt und wird oft in Anekdoten und Liedern erwähnt. Wenn von jemanden gesagt wird: er hat den 71er genommen, heißt dies, er ist verstorben.
Ein Tipp: Wenn Du an einem kalten Wintertag zum Nachdenken und Staunen kommen möchtest, nehme den 71er und spaziere durch das Areal. Eine mystische Eleganz umgibt das gesamte Friedhofsgelände, so wie der Efeu die alten Grabsteine liebevoll umarmt.