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Millionen von Mädchen und jungen Frauen werden jedes Jahr Opfer weiblicher Genitalverstümmelung – einer brutalen Praxis, die tief in der Geschlechterungleichheit verwurzelt ist und schwere körperliche sowie seelische Schäden hinterlässt. Aus westlicher Sicht wird FGM oft pauschal als barbarisch und rückständig verurteilt. Doch rechtliche Maßnahmen allein reichen nicht aus, um eine Praxis zu beenden, die in vielen Gemeinschaften tief verwurzelt ist.

Weibliche Genitalverstümmelung (FGM), auch als weibliche Beschneidung bekannt, ist eine tief verwurzelte kulturelle Praxis, die vor allem in Afrika und in geringerem Maße in Asien und im Nahen Osten verbreitet ist. Diese schädliche Tradition umfasst die teilweise oder vollständige Entfernung der äußeren weiblichen Genitalien oder andere Verletzungen der weiblichen Geschlechtsorgane aus nicht-medizinischen Gründen. Angesichts der Grausamkeit dieser Praktiken wird zunehmend darüber diskutiert, inwieweit sie mit den Menschenrechten vereinbar sind.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass weltweit mehr als 200 Millionen Mädchen und Frauen von FGM betroffen sind – hauptsächlich in 30 Ländern Afrikas, des Nahen Ostens und Asiens. Die Praxis wird oft durch eine Mischung aus kulturellen, religiösen und sozialen Faktoren innerhalb von Familien und Gemeinschaften gerechtfertigt. Häufig wird sie fälschlicherweise mit religiösen Vorschriften in Verbindung gebracht, als Mittel zur Bewahrung der Jungfräulichkeit angesehen oder als Übergangsritus ins Erwachsenenleben betrachtet. Tatsächlich gibt es jedoch keine religiösen Schriften, die diese grausame Praxis vorschreiben.

FGM hat keinerlei gesundheitlichen Nutzen, sondern schadet Mädchen und Frauen ausschließlich. Sie führt zur Entfernung gesunden und funktionstüchtigen Gewebes, wodurch die natürlichen Körperfunktionen von Frauen und Mädchen beeinträchtigt werden. Unmittelbare Folgen können starke Schmerzen, Schockzustände und lebensgefährliche Blutungen sein. Langfristig sind wiederkehrende Blasen- und Harnwegsinfektionen, die Bildung von Zysten, Unfruchtbarkeit, Komplikationen während der Geburt und eine erhöhte Sterblichkeit von Neugeborenen mögliche Konsequenzen. FGM ist Ausdruck einer tief verwurzelten Geschlechterungleichheit und stellt eine extreme Form der Diskriminierung von Frauen und Mädchen dar. Die Praxis verletzt ihre Rechte auf Gesundheit, Sicherheit und körperliche Unversehrtheit sowie ihr Recht, nicht unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu werden. In Fällen, in denen das Verfahren zum Tod führt, wird sogar das grundlegende Recht auf Leben verletzt.

Angesichts der zahlreichen grausamen und negativen Folgen für die betroffenen Frauen und Mädchen stellt sich die Frage, warum diese Praxis in den Gemeinschaften, in denen FGM praktiziert wird, weiterhin weit verbreitet und von der Mehrheit unterstützt wird. Tatsächlich sind es oft die Mütter selbst, die ihre Töchter dazu drängen, sich diesem brutalen Eingriff zu unterziehen – aus Angst um ihren eigenen sowie den gesellschaftlichen Status und die Anerkennung ihrer Töchter innerhalb der Gemeinschaft. FGM ist nicht nur ein Initiationsritus und ein Übergang zur Erwachsenenwelt, sondern auch ein Symbol für die sexuelle Identität der Frauen. Viele dieser Gemeinschaften glauben, dass beschnittene Frauen gehorsamer und treuer seien, da die angeblich verminderte sexuelle Empfindsamkeit mit einer Reduktion des sexuellen Verlangens gleichgesetzt wird. Allerdings hat die moderne Wissenschaft gezeigt, dass es keinen positiven Zusammenhang zwischen einer verringerten Empfindlichkeit der Genitalien und einem verminderten sexuellen Verlangen gibt – letzteres wird bei Frauen in erster Linie von der Psyche bestimmt. Daher spielen der enorme soziale Druck, sich anzupassen, sowie die untergeordnete Stellung der Frauen in diesen Gesellschaften eine wesentliche Rolle bei der Aufrechterhaltung dieser grausamen Praxis.

Die westliche Welt wurde erstmals in den frühen 1990er Jahren durch anhaltende Migrationsbewegungen nach Europa mit FGM konfrontiert. In der Folge begann die Europäische Union, Maßnahmen gegen diese Praxis zu ergreifen. Im Jahr 2001 erklärte das Europäische Parlament FGM erstmals ausdrücklich als eine „Menschenrechtsverletzung, die sowohl zivil- als auch strafrechtlich verfolgt werden muss“. Vor 1993 bestand die Reaktion einiger Staaten lediglich darin, die Praxis zu „medizinieren“, indem sie von spezialisierten Ärzten durchgeführt wurde – mit dem Ziel, die Anzahl der Todesopfer und schwerwiegenden Komplikationen zu reduzieren. Erst auf der Weltmenschenrechtskonferenz in Wien im Jahr 1993 wurde die weibliche Genitalverstümmelung offiziell als Menschenrechtsverletzung anerkannt.

Heute gilt FGM international als eine Verletzung der Menschenrechte, der Kinderrechte und der Rechte von Frauen. Der „Internationale Tag der Nulltoleranz gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung“, der jedes Jahr am 6. Februar begangen wird, ist ein wichtiges Symbol des weltweiten Engagements zur Abschaffung dieser Praxis. Er bietet eine Plattform für Stimmen, die sich für die Rechte und das Wohlergehen von Frauen und Mädchen auf der ganzen Welt einsetzen.

Es gibt mehrere internationale Rechtsinstrumente, die sich mit weiblicher Genitalverstümmelung (FGM) befassen: die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (UDHR), der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) sowie der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR). Spezifische rechtliche Verpflichtungen bestehen insbesondere für den afrikanischen Kontinent, darunter die Afrikanische Charta der Menschen- und Völkerrechte, die Afrikanische Charta über die Rechte und das Wohlergehen des Kindes sowie das Maputo-Protokoll. Letzteres verpflichtet die Staaten dazu, Gesetze gegen FGM zu erlassen sowie weitere Maßnahmen wie öffentliche Aufklärung, Unterstützung für Betroffene und Schutz gefährdeter Frauen zu implementieren. Dennoch variiert der rechtliche Status von FGM weltweit erheblich. Im Jahr 2020 war die Praxis in 22 der 28 am stärksten betroffenen Länder Afrikas illegal. Dennoch bleibt die Bekämpfung schwierig, da in acht von zehn Fällen die Verstümmelung im Geheimen durchgeführt wird.

Trotz der zahlreichen rechtlichen Instrumente stellt FGM weiterhin eine große Herausforderung dar. Ein zentrales Problem bei der Bekämpfung dieser grausamen Praxis ist, dass der gesamte Ansatz auf westlichen Maßstäben beruht, die keinerlei potenzielle soziale Vorteile in Verbindung mit der weiblichen Beschneidung sehen – Vorteile, die innerhalb der betroffenen Gemeinschaften jedoch eine große Rolle spielen. In vielen afrikanischen und asiatischen Gesellschaften, in denen FGM praktiziert wird, nehmen Frauen den Schmerz und die möglichen gesundheitlichen Folgen bewusst in Kauf, in der Hoffnung, dadurch soziale Anerkennung oder wirtschaftliche Vorteile zu erlangen. Was im Westen als unvorstellbar gilt, kann in anderen Kulturen als erstrebenswert angesehen werden.

Leider lässt sich FGM – wie alle tief in einer Gesellschaft verwurzelten Praktiken – nicht einfach ausrotten. Die bloße Schaffung von Gesetzen und Vorschriften reicht nicht aus. Auch wenn rechtliche Instrumente notwendig sind, um diejenigen zu bestrafen, die weiterhin Mädchen und junge Frauen dieser Verstümmelung unterziehen, wird nur ein erheblicher Fortschritt in der Bildung sowie eine Verbesserung des sozioökonomischen Status von Frauen weltweit den positiven Wandel bewirken, der letztlich zum allmählichen und endgültigen Verschwinden dieser barbarischen Praxis führen kann.

Bild: 31. Januar 2018 – Karamoja, Uganda – Eine ehemalige Beschneiderin aus dem Stamm der Pokot zeigt das Werkzeug, das sie einst zur Durchführung weiblicher Genitalverstümmelung (FGM) bei jungen Mädchen verwendete. Sie behauptet, die Praxis aufgegeben zu haben, nachdem sie 2010 in Uganda verboten wurde, räumt jedoch ein, dass sie das damit verbundene Einkommen und Ansehen vermisst. © IMAGO / ZUMA Wire
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