Im Mai 2024 verkündete die NASA eine aufregende Mitteilung: Forschende entdeckten Gliese 12b, einen erdähnlichen Planeten in nur 40 Lichtjahren Entfernung. Aufgrund einiger möglicher Ähnlichkeiten mit der Erde, einschließlich einer potenziellen Atmosphäre und der Möglichkeit primitiven Lebens, hat der neuentdeckte Planet weit verbreitete Spekulationen über sein Potenzial als zweite Heimat für die Menschheit ausgelöst. Doch obwohl seine Entdeckung vielversprechende Möglichkeiten bietet, ist es nicht nur unsere Distanz zu Gliese, welche Probleme mit sich bringen könnte.
Lukas Barcherini Peter
20. November 2024
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Gliese 12b ist ein Exoplanet – ein Planet, der einen Stern außerhalb unseres Sonnensystems umkreist. Die Suche nach solchen Planeten begann mit der Entdeckung des ersten Exoplaneten im Jahr 1994. Seither wurden über 5000 weitere Exoplaneten entdeckt und katalogisiert. Die meisten unterscheiden sich stark von der Erde: Es handelt sich oft um Gasriesen wie Jupiter, oder eisige Welten wie Uranus, die jegliches Leben unmöglich machen. Ein kleiner Teil jedoch, darunter Gliese 12b, weist Gemeinsamkeiten mit der Erde auf und eröffnet spannende Möglichkeiten für Forschung und weitere Entdeckungen.
Gliese 12b zeichnet sich dadurch aus, dass er scheinbar nur etwa 10 % größer als die Erde ist und innerhalb der „bewohnbaren Zone“ seines Sterns kreist – der Region um einen Stern, in der die Bedingungen für die Existenz von flüssigem Wasser gegeben sind, was für Leben und Sauerstoff unerlässlich ist. Der Planet umkreist einen Zwergstern vom Typ M, den häufigsten Sterntyp in unserer Galaxie. M-Zwerge sind kühler und weniger hell als unsere Sonne, weisen jedoch meist eine viel höhere Strahlungsintensität auf. Trotzdem ermöglichen sie es Planeten wie Gliese 12b, Temperaturen zu halten, die Leben ermöglichen könnten – obwohl Gliese 12b bedeutend näher um seinen Stern kreist als die Erde um unsere Sonne. So vollendet der Exoplanet eine Umlaufbahn in nur etwa 13 Tagen.
Der NASA-Satellit TESS (Transiting Exoplanet Survey Satellite) entdeckte zwar diese Schlüsselmerkmale, doch kann TESS nur die Größe und die Umlaufbahn eines Planeten bestimmen. Daher sind weitere Forschungen erforderlich, um zu verstehen, ob Gliese Leben beherbergen könnte.
Hier kommt das James Webb Space Telescope (JWST) ins Spiel. Anders als TESS kann das JWST die Atmosphäre eines Planeten analysieren, indem es die „Farbsignatur“ von Gasen wie Sauerstoff, Methan oder Wasserdampf identifiziert. Dieses Verfahren, das als atmosphärische Spektrometrie bezeichnet wird, hilft Forschenden, die Zusammensetzung der Atmosphäre eines Planeten zu bestimmen und seine Bewohnbarkeit zu evaluieren.
Die ersten handfesten Ergebnisse des JWST zu Gliese stehen noch aus, aber vorläufige Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Atmosphäre des Planeten alles andere als ideal für Leben sein könnte. Eine große Sorge, hinsichtlich seines Potentials bewohnbar zu sein, besteht darin, dass Gliese 12b möglicherweise „gebunden rotiert“. Das bedeutet, dass eine Seite des Planeten immer dem Stern zugewandt ist, während die andere Seite in ewiger Dunkelheit liegt – Das selbe Verhalten welcher der Mond, im Verhältnis zu unserer Erde, aufweist. Dies hat hohe Temperaturunterschiede auf den jeweils gegenüberliegenden Seiten des Planeten zur Folge. Solche extremen Temperaturunterschiede könnten die Stabilität der Atmosphäre beeinträchtigen und lebensfreundliche Bedingungen erschweren.
Die geschätzte Größe von Gliese 12b könnte etwa der der Erde entsprechen oder etwas größer oder kleiner sein – vergleichbar mit der Venus in unserem Sonnensystem. Diese künstlerische Darstellung vergleicht die Erde mit verschiedenen möglichen Interpretationen von Gliese 12b, von einem Planeten ohne Atmosphäre bis hin zu einer dichten, venusähnlichen Atmosphäre. Nachfolgende Beobachtungen mit dem James Webb-Weltraumteleskop der NASA sollen Aufschluss darüber geben, wie viel Atmosphäre der Planet tatsächlich besitzt und welche Zusammensetzung diese aufweist. Die Illustration zeigt die Erde im Vergleich zu verschiedenen Modellen von Gliese 12b. Links, vor einem schwarzen Hintergrund, befindet sich eine künstlerische Darstellung einer halb beleuchteten Erde mit Wolken, blauen Ozeanen sowie grünen, braunen und weißen Landmassen. Rechts davon sind drei ebenfalls teilweise beleuchtete Planeten dargestellt, die geringfügig kleiner als die Erde sind und jeweils eine mögliche Interpretation von Gliese 12b repräsentieren. Der linke Planet hat eine fleckige Oberfläche mit rötlich-braunen Strukturen und keine Atmosphäre. Die mittlere Version zeigt dieselbe Oberflächenstruktur, die jedoch teilweise von einer trüben Atmosphäre verdeckt ist. Der rechte, kleinste Planet besitzt eine dichte, venusähnliche Atmosphäre, die die Oberfläche vollständig verhüllt. © NASA/JPL-Caltech/R. Hurt (Caltech-IPAC)
Basierend auf der Entfernung des Planeten von seinem Stern und den ersten Erkenntnissen durch TESS schätzen Forschende, dass die durchschnittliche Temperatur auf Gliese bei etwa 40 °C liegen könnte – theoretisch eine Temperatur, bei der flüssiges Wasser bestehen kann. Doch die möglicherweise drastischen Unterschiede zwischen der hellen und der dunklen Seite des Planeten könnten die Atmosphäre destabilisieren. Sollte die Atmosphäre sich dabei wie die der Venus verhalten, wäre Gliese unbewohnbar.
Neben einigen vermeintlichen Ähnlichkeiten im Aussehen könnten Venus und Gliese 12b mehr als nur die Farbe gemeinsam haben. Auf der Venus kommt es zu einem unkontrollierten oder sogenannten „galoppierenden Treibhauseffekt“, bei dem die dichte Atmosphäre die Wärme einschließt und Temperaturen verursacht, die hoch genug sind, um Blei zu schmelzen. Dies geschieht, weil die Venus mehr Sonnenstrahlung empfängt als die Erde und ihre dichte Atmosphäre eine vergleichbare Wärmeentweichung verhindert. Es kommt zu einem Kreislauf aus Erwärmung durch kontinuierliche und starke Sonneneinstrahlung und den Emissionen dichter Gase durch hohe Temperaturen. Auf Gliese könnten ähnliche klimatische und atmosphärische Bedingungen herrschen, vor allem auf der dem Stern zugewandten Seite. Dies macht die Bewohnbarkeit von Gliese durch komplexere Lebewesen, sowohl aktuell als auch in ferner Zukunft, höchst unwahrscheinlich.
Eine andere Möglichkeit sehen Forschende darin, dass der Planet eine dünne, vielleicht erdähnliche Atmosphäre oder sogar überhaupt keine Atmosphäre hat. Wahrscheinlicher ist jedoch eine äußerst dünne Atmosphäre, welche nicht genügend Luftdruck für das Bestehen von flüssigem Wasser bietet. Selbst wenn die Atmosphäre nicht vergleichbar toxisch ist wie die der Venus, könnte Leben auf Gliese 12b immer noch unmöglich sein. Schauen wir hierfür erneut zu unserem Mond: Dieser hat praktisch keine Atmosphäre (etwa ein Billiardstel des Luftdrucks auf der Erde), und trotz extremer Temperaturen von bis zu 120 °C, in der Nähe des Mondäquators, schmilzt das Eis auf ihm wegen des fehlenden Luftdrucks nicht.
Doch unabhängig von diesen erheblichen und denkbaren Herausforderungen bleibt Gliese eine unschätzbare Entdeckung. Der Planet bietet die seltene Gelegenheit, eine Welt zu erforschen, die zwar wahrscheinlich nicht zur „zweiten Heimat“ der Menschheit wird, jedoch entscheidende Einblicke in die komplexen Prozesse liefert, die die Entstehung von Planeten, ihre Entwicklung und die Entwicklung von Atmosphären bestimmen.
Auch wenn die Wahrscheinlichkeit für aktuelles Leben auf Gliese immer geringer wird, tragen die Untersuchungen dieses Exoplaneten dazu bei, unser Verständnis davon zu erweitern, welche Bedingungen einen Planeten bewohnbar machen – und welche Faktoren dies verhindern können. Die Ergebnisse werden nach aller Voraussicht auch die Kriterien verfeinern, die von Forschenden zur Identifizierung anderer potenziell bewohnbarer Planeten verwendet werden, und wertvolle Daten für die künftige Erforschung liefern. Da Gliese den galaxisweit meistverbreiteten Zwergstern vom Typ M umkreist, können die Studien von Gliese den Grundstein für die Untersuchung vieler anderer Exoplaneten in der bewohnbaren Zone legen, die in den kommenden Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit entdeckt werden.
Letztlich bringt uns die Erforschung von Gliese 12b – auch wenn sie keine unmittelbaren Antworten auf die Frage nach unserer Stellung im Universum liefert – einen kleinen, aber bedeutsamen Schritt näher an die Beantwortung der uralten Frage: Sind wir allein? Trotz aller Herausforderungen wird Gliese 12b wahrscheinlich eine Schlüsselrolle in der menschlichen Suche nach Leben und unserem Verständnis des Kosmos spielen.