Die Europäische Kommission hat die Kernenergie, die keine CO2-Emissionen erzeugt, in ihre EU-Taxonomie aufgenommen und sich damit auf die Seite einer von Frankreich angeführten Gruppe von Ländern gestellt. Wenn die Klimakrise die größte Herausforderung unserer Zeit ist, macht es absolut Sinn, in eine skalierbare, billige Technologie zu investieren, die keine Emissionen erzeugt.
Prof. Dr. Daniel Garcia, 16. Februar 2022
In einer sehr umstrittenen Entscheidung hat die Europäische Kommission (EK) in ihrem EU-Taxonomiegesetz festgelegt, dass Kernkraft und Gas als nachhaltige Energiequellen im Prozess der Energiewende (2020-2045) gelten sollen. Am 2. Februar 2022 verabschiedete die Kommission den ergänzenden delegierten Klima-Rechtsakt (CDA). Mit dem CDA werden bestimmte Tätigkeiten im Bereich der Kernkraft und des Erdgases in Artikel 10 Absatz 2 der EU-Taxonomie aufgenommen, wonach bestimmte Energieaktivitäten, die Kernkraft und Erdgas beinhalten, als klimafreundliche Investitionen eingestuft werden.
Die Europäische Kommission schlug sich auf die Seite einer von Frankreich angeführten Gruppe von Ländern, die argumentierten, dass die Kernenergie als nachhaltig angesehen werden sollte, da sie keine CO2-Emissionen verursacht. Um einen breiteren Konsens zu erreichen, wurde in dem Vorschlag auch festgelegt, dass erdgasbefeuerte Kraftwerke nachhaltig sind. Eine kleinere Gruppe von Ländern, darunter Österreich, und alle Umweltorganisationen argumentierten, dass die Aufnahme der Kernenergie in diese Liste ein Akt des „Greenwashing“ sei.
Die Kennzeichnung von Atom- und Gaskraftwerken als nachhaltig wird es ermöglichen, dass Investitionen in diese Technologien in den Genuss von Steuernachlässen und anderen regulatorischen Vorteilen kommen, die Investitionen in erneuerbare Energien genießen. Im Falle der Kernenergie erfordert dies zusätzlich das Vorhandensein eines Endlagers und eines Plans für die Entsorgung und den Schutz des Atommülls.
Nicht alle Kernenergieaktivitäten werden im Rahmen des CDA akzeptiert. Während neue Kernkraftwerksprojekte, bei denen die beste verfügbare Technologie (Gen III+) zum Einsatz kommt, bis 2045 anerkannt werden, werden Änderungen und Nachrüstungen bestehender Kernkraftwerke zum Zweck der Laufzeitverlängerung nur bis 2040 anerkannt. Der CDA verlangt auch, dass fortschrittliche Technologien geschlossene Brennstoffkreisläufe (Gen IV-Projekte) umfassen („Generation IV“), was auch Anreize für Forschung und Innovation in Bezug auf künftige Technologien in Bezug auf Sicherheitsstandards und Abfallminimierung bietet (ohne Verfallsklausel).
Umweltorganisationen kritisieren diese Politik, weil sie (i) das Risiko eines nuklearen Zwischenfalls erhöhen und (ii) Ressourcen von erneuerbaren Energiequellen abziehen könnte. Dennoch bleibt die Kernenergie eine praktikable und in einigen Fällen notwendige Option für die Energieerzeugung in großem Maßstab.
Man könnte argumentieren, dass die meisten Menschen in der EU unverhältnismäßig stärker über die Klimakrise besorgt sind als über die nuklearen Risiken. Eine Eurobarometer-Umfrage aus dem Jahr 2007 zeigt, dass die meisten Europäer der Kernenergie positiv gegenüberstehen und die damit verbundenen Risiken als gering einschätzen. Umweltschützer sind da natürlich anderer Meinung und nennen die Kernkraft oft als eine der größten Umweltgefahren und führen Kampagnen gegen den Bau neuer Kraftwerke durch. „Greenpeace + Kernenergie“ ergibt ungefähr so viele Suchergebnisse wie „Greenpeace + Klimawandel“, während die Zahl der Suchergebnisse (und Suchanfragen) für „Klimawandel“ zehnmal größer ist als die für „Kernenergie“. Wenn die Klimakrise die größte Herausforderung unserer Zeit ist, ist die Investition in eine skalierbare und effiziente Energiequelle, die keine CO2-Emissionen verursacht, immer noch eine realistische Option.
Der zweite Kritikpunkt ist schwerwiegender. Wenn die Investoren ihre Investitionen in die Kernenergie auf Kosten der erneuerbaren Energien erhöhen, wird die mit der EU-Taxonomie verbundene Politik nach hinten losgehen, und die Energiewende wird nicht gelingen. Dies scheint in Frankreich der Fall zu sein, wo Präsident Macron kürzlich einen neuen Ausbau der Kernkraft bis 2050 angekündigt hat.
Das Problem besteht jedoch nicht darin, dass Gelder, die sonst in erneuerbare Energien fließen würden, in den Bau von Kernkraftwerken fließen, sondern darin, dass die Kernkraft den Preis für alle Stromerzeugungsquellen drückt und damit die Rentabilität der Investitionen verringert. Um dieses Problem zu lösen, müssen die Elektrizitätsmärkte umstrukturiert werden, um während der Umstellung eine angemessene Rendite für Strom aus erneuerbaren Energien zu gewährleisten und gleichzeitig die Nutzung stark umweltschädlicher Energiequellen wie Kohle und Öl einzuschränken. Diese Umstrukturierung dürfte auch die Preisvolatilität auf den Energiemärkten verringern und die Abhängigkeit von Einfuhren begrenzen.
Beim gegenwärtigen Stand der Dinge ist die Kernkraft eine pragmatische, klimaneutrale Lösung. Da die EU und viele ihrer Mitglieder die fortschrittliche Kernenergie angenommen haben, ist es vielleicht an der Zeit, dass diejenigen, die gegen die Kernenergie sind, ihre Rolle bei der Erreichung der EU-Klimaziele objektiver betrachten.