Skip to main content

Was haben die österreichische Kernphysikerin Lise Meitner, die britische Biochemikerin Rosalind Elsie Franklin und die britische Ingenieurin Jocelyn Bell gemeinsam? Sie gehören zu einer Gruppe von Frauen, deren wissenschaftliche Leistungen von der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften bei der Vergabe des Nobelpreises übergangen wurden. Stattdessen wurden ihre männlichen Kollegen geehrt.

Als der kanadischen Physikerin Donna Strickland gemeinsam mit ihren Kollegen Arthur Ashkin und Gerard Mourou der Nobelpreis für Physik 2018 für ihre Arbeit an Hochleistungslasern verliehen wurde, war es das erste Mal seit 55 Jahren, dass eine Frau den prestigeträchtigen Preis gewonnen hatte.

Herausragende Talente hatte es in diesen Jahren jedoch genug gegeben. Die vielleicht berühmteste Absage war die an die britische Physikerin Jocelyn Bell. Sie entdeckte 1967 noch als Studentin die ersten Radiopulsare, als sie auf der Universität Cambridge promovierte. Der Nobelpreis, mit dem diese bahnbrechende Entdeckung 1974 gewürdigt wurde, ging jedoch an ihren männlichen Doktorvater, Antony Hewish.

Die österreichische Physikerin Lise Meitner war bekannt für ihre Arbeit am Nobel-Institut für Physik und an der Königlichen Technischen Hochschule 1946. Sie veröffentlichte im Februar 1939 zusammen mit ihrem Neffen Otto Frisch die erste physikalisch-theoretische Erklärung der Kernspaltung. Die Entdeckung der Kernspaltung war nicht nur in der Wissenschaft folgenreich, sie führte auch zur Entwicklung von Kernwaffen („Atombomben“) und später zum Bau von Kernkraftwerken.

Lise Meitner wurde jahrzehntelang immer wieder für den Chemie-Nobelpreis und den Physik-Nobelpreis nominiert. Sie erhielt wohl zahlreiche andere Ehrungen, aber keinen Nobelpreis.

Die britische Biochemikerin Rosalind Elsie Franklin war Spezialistin für die Röntgenstrukturanalyse. Ihre Grundlagenforschung war wesentlich für das Verständnis der Molekularstruktur von Ribonukleinsäure, Viren und Graphit. Ihr gemeinsam mit ihrem Doktoranden Raymond Gosling im April 1953 zu diesem Thema veröffentlichter Forschungsartikel bildete die Vorstufe für den parallel erschienenen Artikel von James Watson und Francis Crick zur Struktur der DNA. Obwohl die Forschungsergebnisse von Franklin die Basis für die Entschlüsselung der DNA durch Watson und Crick baten, wofür die beiden 1962 den Nobelpreis bekamen, wurden auch Franklin nie für ihre Forschung mit dem Preis gewürdigt.

In den letzten 15 Jahren gab es sogar drei Jahre ganz ohne Nobelpreisträgerinnen, 2017, 2016 und 2012. Die höchste Anzahl weiblicher Nobelpreisträgerinnen gab es im Jahr 2009 mit fünf Auszeichnungen, im selben Jahr bekamen auch acht Männer den Preis.

Bis heute wurden 65 Nobelpreise an 64 Frauen verliehen. Zu den einzelnen Nobelpreisträgern gehören 894 Männer, 64 Frauen und 27 Organisationen. Die prestigeträchtige Auszeichnung ist leider noch weit von einer Gleichstellung der Geschlechter entfernt, was nicht nur die Unterrepräsentation von Frauen in den Wissenschaften, aber auch in einflussreichen Positionen in den Geisteswissenschaften deutlich macht.

Die Gründe dafür sind vielseitig, einerseits sickern durch die „Leaky Pipeline“ Frauen auf ihrem Weg in der Wissenschaft und Forschung oft an verschiedenen Stellen einfach durch. Das bedeutet, dass sie aufgrund von geschlechtsspezifischen Hindernissen, Diskriminierung und anderen Faktoren („Glas Ceiling“) weniger häufig in dominierende Positionen aufsteigen und deshalb dort auch weniger erkennbar sind.

Related Articles

Außerdem sind Frauen nach wie vor in vielen wissenschaftlichen Ämtern unterrepräsentiert. Es gibt immer noch Hürden in der Ausbildung und Forschung, die es zu bezwingen gibt, um mehr junge Frauen in die Wissenschaft zu bringen.

Das Hauptproblem ist jedoch die beharrliche mangelnde Sichtbarkeit von Leistungen von Frauen. Herausragende Erfolge von Frauen müssen deutlich gemacht und demzufolge viel mehr gewürdigt werden. Dies kann dazu beitragen, die Unterrepräsentation von Frauen bei Nobelpreisen endlich und nachhaltig zu bekämpfen.

Letztes Jahr hatte als dritte Frau die amerikanische Ökonomin Claudia Goldin den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten. Bekommen hatte die in Harvard lehrenden Goldin den Preis für ihre Forschung auf einem in der Vergangenheit wenig repräsentierten Gebiet, der Rolle der Frau in der Arbeitswelt.

Ein zentraler Faktor in diesem Zusammenhang war Goldins Buch „Understanding the Gender Gap: An Economic History of American Women“ (1990), in dem die Ökonomin die Geschichte weiblicher Arbeit seit dem 18. Jahrhundert bis heute und deren Auswirkung auf den wirtschaftlichen Wachstum erforschte. Das Narrativ des Buches beantwortet, warum Geschlechterunterschiede bei der Entlohnung und Beschäftigung von Frauen aufgetaucht und bis heute geblieben sind.

Die Zahlen sprechen für sich: laut Goldin verringerte ein steigender Anteil von Frauen auf dem Arbeitsmarkt die Einkommensunterschiede zu den Männern lange Zeit kaum. Ein Teil der Begründung ist, dass Bildungsentscheidungen, die sich auf die Karrierechancen eines ganzen Lebens auswirken, meist in einem jungen Alter getroffen werden, und diese Entscheidungen seien leider noch oft von klassischen Rollenbildern geprägt.

Der Nobelpreis sei bedeutend „für die vielen Menschen, die in diesem Bereich arbeiten“, sagte Goldin am Abend der Preisverleihung. Tatsächlich gebe es „große Veränderungen“ bei der Arbeitsmarkt-Integration von Frauen, „aber immer noch große Unterschiede bei der Bezahlung“.

Laut dem Gender Gap Report 2023 des Welt Wirtschaftsforums sieht man bei Betrachtung der 102 Länder, die von 2006 bis 2023 fortlaufend erfasst wurden, dass die Lücke im Jahr 2023 zu 68,6 Prozent geschlossen wurde, womit das Niveau von 2020 wieder erreicht wurde und seit der ersten Ausgabe des Berichts im Jahr 2006 ein bescheidener Fortschritt von 4,1 Prozentpunkten erzielt wurde.

Bei der derzeitigen Fortschrittsrate wird es 131 Jahre dauern, bis die vollständige Gleichheit erreicht werde, so der ernüchternde Befund des Reports. Dass Frauen auch heute noch für bessere Bezahlung und mehr Sichtbarkeit kämpfen müssen, ist erschreckend, aber nicht ungewöhnlich in wirtschaftlich unsicheren Zeiten.

Traditionell sehen die gesellschaftlichen Normen zudem immer noch Frauen als Hauptbetreuer in der Kindererziehung vor. Diese Normen könnten erklären, warum hauptsächlich Mütter falls überhaupt dann in Teilzeitarbeit beschäftigt sind, und das auch nur, wenn eine bezahlbare Kinderbetreuung verfügbar ist.

Das Überwinden dieser gesellschaftlichen Normen ist langsam und anstrengend – und erfordert die Unterstützung der Männer, einerseits auch einen signifikanten Teil der unbezahlten Betreuungsarbeit von Kindern und älteren Personen zu übernehmen, sowie die beruflichen Erfolge von Frauen zu würdigen und aufzuzeigen. Ob und wann diese Hindernisse überwunden werden und die gleiche Anzahl von männlichen und weiblichen Nominierten um Auszeichnungen wie den Nobelpreis buhlen, wird sich zukünftig zeigen.

Bild: Collage – iGlobenews, Jocelyn Bell © wikipedia, Rosalind Franklin © wikipedia, Lise Meitner © mpg.de
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner