Im Mai 2023 kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen kosovarischen Strafverfolgungsbehörden und Kosovo-Serben im Nordkosovo. Die Kosovo-serbischen Beziehungen verschlechterten sich erneut und erreichten einen neuen Tiefpunkt, und die intensiven Bemühungen der EU um eine Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Kosovo und Serbien wurden untergraben. Nun konkurrieren China und Russland mit der EU um den geostrategischen Einfluss auf dem westlichen Balkan. Wird die EU in der Lage sein, ihre Position als glaubwürdiger „externer Akteur“ auf dem westlichen Balkan zu halten?
Bernd Christoph Ströhm, 1. August 2023
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Im März 2023 jubelte die EU, nachdem die bilateralen Beziehungen zwischen dem Kosovo und Serbien einen neuen Höhepunkt erreicht hatten. Der Hohe Vertreter der EU für auswärtige Angelegenheiten, Josep Borrell, verkündete euphorisch, dass Kosovo und Serbien sich auf die Umsetzung des von der EU vermittelten „Abkommens über den Weg zur Normalisierung der Beziehungen“, informell auch als „Ohrid-Abkommen“ bekannt, geeinigt hätten. Selbst US-Außenminister Antony Blinken erklärte, die US-Regierung sei stolz auf ihren Beitrag zu diesem Abkommen.
Gemäß den Bedingungen dieses Abkommens verpflichtete sich Serbien, kein Veto gegen den Beitritt des Kosovo zu internationalen Organisationen einzulegen, und im Gegenzug verpflichtete sich die Regierung des Kosovo, eine „Gemeinschaft serbischer Gemeinden“ (CSM) zu gründen, einen politischen Zusammenschluss von Gemeinden der serbischen Bevölkerungsmehrheit im Kosovo. Ziel des Abkommens war eine umfassende Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Kosovo und Serbien, indem Serbien die faktische, aber nicht die rechtliche Unabhängigkeit des Kosovo anerkannte.
Dennoch verschlechterten sich die kosovo-serbischen Beziehungen nur drei Monate später erneut auf einen neuen Tiefpunkt, nachdem es am 26. und 29. Mai zu gewaltsamen Ausschreitungen zwischen kosovarischen Strafverfolgungsbehörden und Kosovo-Serben im Nordkosovo gekommen war. Die kosovo-serbische Gemeinschaft startete im Mai Protestkundgebungen, um die Ernennung albanischer Kandidaten zu Bürgermeistern in Gemeinden mit serbischer Mehrheit anzuprangern. Sie behaupteten, die Kommunalwahlen vom April seien aufgrund der geringen Wahlbeteiligung von 3 % unrechtmäßig gewesen, nachdem die lokale serbische Partei „Srpska Lista“ beschlossen hatte, die Wahlen zu boykottieren. Die internationale Gemeinschaft beobachtete diese Unruhen mit großer Sorge, da es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam, bei denen etwa 30 Soldaten der NATO-geführten internationalen Kosovo-Friedenstruppe (KFOR) und 50 Zivilisten verletzt wurden.
Der Grund für diese Proteste ist tief in den ethnischen Spannungen zwischen Kosovo-Albanern und Kosovo-Serben in den mehrheitlich serbischen Gemeinden des Kosovo verwurzelt. Aufgrund dieser Spannungen schlug die internationale Gemeinschaft die Abhaltung neuer Kommunalwahlen im Nordkosovo vor und forderte die kosovo-serbischen Beamten auf, sich an diesen Wahlen zu beteiligen, um eine weitere Eskalation der Situation zu verhindern. Die kosovarische Regierung legte im Juni einen Plan vor, der darauf abzielte, die Spannungen in den mehrheitlich serbischen Gemeinden zu entschärfen, indem solche vorgezogenen Wahlen erleichtert und die Präsenz der kosovarischen Polizeitruppen, die in den Gemeindegebäuden im Nordkosovo stationiert sind, verringert werden sollten.
Nach der Verhaftung von drei kosovarischen Polizeibeamten durch serbische Sicherheitskräfte im Juni 2023 verschlechterten sich die bilateralen Beziehungen zwischen dem Kosovo und Serbien noch weiter. Der kosovarische Ministerpräsident Kurti bezeichnete die Verhaftungen als „Entführung“ und fügte hinzu, dass die Polizeibeamten auf dem Gebiet des Kosovo nahe der Grenze zu Serbien festgenommen worden seien. Die serbische Regierung behauptete, die kosovarischen Polizisten seien festgenommen worden, nachdem sie illegal und mit Schusswaffen bewaffnet serbisches Hoheitsgebiet betreten hatten. Aufgrund des Vorfalls beschloss die kosovarische Regierung, allen Fahrzeugen mit serbischen Kennzeichen ab dem 14. Juni 2023 vorübergehend die Einreise in das Land zu untersagen. Die bilateralen Spannungen zwischen dem Kosovo und Serbien haben sich entschärft, nachdem Serbien Ende Juni beschlossen hatte, die drei inhaftierten kosovarischen Polizeibeamten freizulassen.
Aufgrund der Eskalation der ethnischen und politischen Spannungen im Nordkosovo ist die ordnungsgemäße Umsetzung des Ohrid-Abkommens höchst unwahrscheinlich. Weder die kosovarische noch die serbische Regierung sind wirklich gewillt, die bilateralen Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien zu normalisieren. Das Gegenteil trifft vor allem für Serbien zu, das die Kosovo-Frage nutzt, um von innenpolitischen Problemen abzulenken. Seit Mai 2023 sieht sich die serbische Regierung wöchentlich mit groß angelegten Anti-Regierungs-Protestkundgebungen in ganz Serbien konfrontiert. Bereits im April 2023 war Serbiens Engagement für die Umsetzung des von der EU ausgehandelten Abkommens in Frage gestellt worden, nachdem die serbische Regierung beschlossen hatte, gegen die Mitgliedschaft des Kosovo im Europarat zu stimmen.
Die USA und die EU machten den kosovarischen Premierminister Kurti für die politischen und ethnischen Spannungen im Nordkosovo verantwortlich, die zur Verhängung politischer und wirtschaftlicher Sanktionen der EU gegen das Kosovo führten. Diese Sanktionen könnten dazu führen, dass dem Kosovo bis Ende 2023 mehr als 500 Millionen Euro an EU-Mitteln verloren gehen (nach Angaben der „Alliance of Kosovar Businesses“) und die Frist für die Liberalisierung der EU-Visabestimmungen, für den Kosovo über den Januar 2024 hinaus verschoben wird.
Während die EU den Kosovo mit Sanktionen auf Linie bringen will, bleibt sie gegenüber der serbischen Regierung recht unkritisch. Diese Haltung gegenüber Serbien zielt darauf ab, Serbien von Russland abzulenken und auf die außenpolitische Haltung der EU gegenüber Russland, einschließlich des russischen Sanktionsregimes, einzuschwören.
Ein beunruhigender Trend, der sich in Serbien infolge der Maßnahmen der EU zur Deeskalation der Spannungen im Nordkosovo abzeichnet, ist die anhaltende EU-Skepsis. Bis heute gibt es in Serbien keine Mehrheit für einen EU-Beitritt. Sollte ein Referendum abgehalten werden, würden laut einer Demostat-Umfrage vom Juni 2023 nur 34 % der Serben den EU-Beitritt Serbiens unterstützen. Der Kosovo wiederum kann sich nicht auf die Unterstützung bestimmter EU-Mitgliedstaaten verlassen (vor allem Spanien, die Slowakei, Zypern, Rumänien und Griechenland, die die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkennen), wenn es um sein eigenes Ziel geht, der EU beizutreten. Damit hat die EU ihren Trumpf einer EU-Beitrittsperspektive verloren, um beide Regierungen zu Kompromissen zu bewegen, die auf eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien abzielen.
Es ist mittlerweile kein Geheimnis mehr, dass der anfängliche Reformeifer in den westlichen Balkanstaaten seit dem EU-Westbalkan-Gipfel in Thessaloniki 2003, auf dem die EU sich verpflichtete, die EU-Integration der westlichen Balkanstaaten zu erleichtern, fast verflogen ist. Gleichzeitig nimmt der geostrategische Wettbewerb um Einfluss auf dem westlichen Balkan zu, da andere externe Akteure wie Russland, China und die Türkei ihre Präsenz in der Region ausbauen und gleichzeitig politische und wirtschaftliche Druckmittel einsetzen, um ihre Position gegenüber der EU zu stärken.
Auch wenn die EU als Vermittler zwischen diesen Ländern nicht ersetzt werden kann, muss sie als externer Akteur glaubwürdiger werden, um Stabilität und Rechtsstaatlichkeit in der westlichen Balkanregion zu fördern. Die Aussicht auf eine EU-Integration und einen EU-Beitritt muss greifbarer werden. Um wieder als glaubwürdiger Vermittler in der Region aufzutreten, muss die EU klare Ziele setzen und im Hinblick auf den EU-Beitritt klare Belohnungen anbieten.