Die geopolitische Situation in der Arktis heizt sich ebenso wie die ökologische Situation allmählich auf. Während das Meereis in der Arktis aufgrund des Klimawandels schmilzt, verstärken die Hauptakteure in der Region – die USA, Kanada, Russland, Norwegen, Finnland, Schweden, Dänemark und Island – sowie die strategischen Interessen Chinas den Wettbewerb der Großmächte um die natürlichen Ressourcen und Handelswege der Region.
Lena Krikorian, 27. September 2021
Es ist kein Geheimnis, dass sich der Klimawandel negativ auf die Umwelt auswirkt. Die schmelzenden Gletscher und die abnehmende Artenvielfalt in der Arktis, einer Region, die für ihre Minustemperaturen bekannt ist, zeigen dies. Nach Angaben des Weltwirtschaftsforums sind die Temperaturen im Arktischen Ozean in den letzten 40 Jahren um ein Grad pro Jahrzehnt gestiegen, und bis 2050 könnte die Region eisfrei sein. Damit ist die Arktis schneller von der globalen Erwärmung betroffen als jede andere Region der Welt.
Mit dem Abschmelzen des Eises stellen sich Fragen wie „Wer erhält Zugang zu unentdeckten Ressourcen und Ölfeldern?“ oder „Welche Länder kontrollieren welche Routen und Gebiete?“ Trotz der drohenden Umweltschäden beherbergt das schmelzende Becken des Arktischen Ozeans potenzielle Marine-, Handels- und Transportrouten sowie unerschlossene natürliche Ressourcen, wodurch sich ein physisches und geopolitisches Schlachtfeld allmählich aufheizt. Laut Barron’s beherbergt die Arktis fast 13 Prozent der Erdölreserven und mehr als ein Viertel der unerschlossenen Gasreserven der Erde; allein die unentdeckten Ressourcen in der russischen Arktisregion haben einen Wert von rund 35 Billionen Dollar.
Die acht arktischen Staaten sind Kanada, Dänemark, Finnland, Island, Norwegen, die Russische Föderation, Schweden und die Vereinigten Staaten, die im Arktischen Rat vertreten sind. Mit Ausnahme von Russland sind alle diese Länder NATO-Mitglieder. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde der Arktische Rat mit der Ottawa-Erklärung von 1996 formell als hochrangiges, auf Konsens basierendes zwischenstaatliches Forum gegründet, um die Zusammenarbeit und Koordination zwischen den arktischen Staaten und den sechs ständigen arktischen Beteiligungsorganisationen, die die indigenen Gemeinschaften vertreten, zu fördern. Außerdem gehören ihm dreizehn nicht-arktische Staaten als anerkannte Beobachter an. Der Arktische Rat befasst sich hauptsächlich mit dem Klimawandel und der nachhaltigen Entwicklung. Sein Mandat schließt ausdrücklich die militärische Sicherheit aus und hat keinen Rechtsstatus nach internationalem Recht.
Am 20. Mai 2021 traf sich der Arktische Rat zu seinem zwölften Ministertreffen in Reykjavik, wo die Mitglieder den allerersten strategischen Plan des Rates verabschiedeten. Vor dem Hintergrund des 25-jährigen Bestehens des Rates dient der Strategieplan als Leitfaden für arktische Angelegenheiten für das nächste Jahrzehnt. Er soll die Zusammenarbeit bei der Überwachung des Klimawandels, der Verhinderung von Umweltverschmutzung, der nachhaltigen und wirtschaftlichen Entwicklung und der effektiven Kommunikation für den Wissensaustausch als Grundlage für politische Entscheidungen stärken.
Die Russische Föderation hat bis 2023 den Vorsitz im Arktischen Rat inne. Russlands Thema ist „Verantwortungsbewusstes Regieren für eine nachhaltige Arktis“, das vier Schwerpunktbereiche als Mittel zur Förderung kollektiver Maßnahmen in der Region hervorhebt: Bewohner der Arktis und indigene Völker, Umweltschutz und Klimawandel, sozioökonomische Entwicklung und die Stärkung des Arktischen Rates. Im Vorfeld des Ministertreffens im Mai signalisierten die USA und Russland eine gemeinsame Vision zum Klimawandel. Doch die politischen und territorialen Streitigkeiten bleiben ungelöst.
Zwei Tage vor dem Ministertreffen erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow: „Es ist seit langem für jeden absolut klar, dass dies unser Territorium, unser Land ist“. Mit seiner dominanten Marine- und Militärpräsenz beansprucht Russland fast die gesamte arktische Küste als Teil seines Territoriums und liefert sich gleichzeitig ein kleines U-Boot-Wettrüsten mit den USA. Bei einem Marinemanöver im Jahr 2007 verletzte Moskau internationales Recht, indem es eine russische Flagge in einer Kapsel unter dem Eis am Fuß des Nordpols platzierte: ein international anerkannter Ort, der von der Internationalen Meeresbodenbehörde verwaltet wird. Im September 2020 lief ein nuklear angetriebener Eisbrecher von St. Petersburg aus in die Arktis aus, der erste in einer Reihe von Eisbrechern, was auf eine Abschreckungsstrategie hindeutet.
In den nächsten Jahren wird sich der Wettbewerb der Großmächte in der Arktis verschärfen, da Akteure wie China ein Auge auf die Region geworfen haben. Im Rahmen der Gürtel- und Straßeninitiative hat Peking 2017 gemeinsam mit Moskau das Projekt „Eis-Seidenstraße“ ins Leben gerufen, um die Zusammenarbeit und Entwicklung in der Region in Form von lukrativen Ölgeschäften wie dem weltgrößten Flüssigerdgas-Projekt mit Frankreich zu fördern. Kürzlich veröffentlichte China seinen Fünfjahresplan 2021-2025, in dem es den Bau einer „Polaren Seidenstraße“ am Nord- und Südpol plant und 2022 Eisbrecher und Satelliten zur Überwachung der Routen und des schmelzenden Meereises einsetzen wird.
Die beiden wichtigsten Seewege in der Arktis sind die Nordwestpassage und die Nördliche Seeroute, die entlang der russischen Nordküste verläuft und sich von Alaska bis Island erstreckt. Einigen Prognosen zufolge könnte die Nordwestpassage – Küstengewässer oberhalb Alaskas und Kanadas Nordküste am Polarkreis – in fünfzehn Jahren vollständig und bis 2025 zeitweise eisfrei sein, was die Transitzeiten für den Schiffsverkehr zwischen Europa und Asien um 40 Prozent verkürzen würde. Kanada betrachtet die Nordwestpassage, seine arktischen Gewässer und den gefrorenen arktischen Archipel aufgrund der historischen Präsenz der Inuit als innere Gewässer. Washington und Moskau widersprechen Ottawas Souveränitätsansprüchen und würden die Passage lieber als internationale Meerenge gemäß dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen bezeichnen.
Da sich das Arktische Becken aufgrund steigender Temperaturen verändert, bleiben konkurrierende strategische Interessen und territoriale Ansprüche als Quellen geopolitischer Spannungen zwischen einigen der arktischen Staaten und Großmächten bestehen. Nichtsdestotrotz können ein Forum und ein gestärkter Arktischer Rat, die sich auf eine verstärkte regionale Zusammenarbeit konzentrieren, den Umweltschutz und die nachhaltige Entwicklung in der Arktis sicherstellen. Trotz historischer und anhaltender politischer Differenzen sind sich die arktischen Staaten einig, zu den im Pariser Klimaabkommen von 2015 und im Strategieplan festgelegten Schwellenwerten zurückzukehren. Am 19. September feierte der Arktische Rat sein 25-jähriges Bestehen, was zeigt, dass Diplomatie und Dialog die wichtigsten Mechanismen zur Bewältigung des Klimawandels und der regionalen Sicherheit sein können und sollten, anstatt sich ausschließlich auf militärische Differenzen zu konzentrieren.