Die zufällige Entdeckung der Ameronothrus Twitter alias „Twitter-Milbe“ durch ein Team von österreichischen und japanischen Spitzenwissenschaftlern hat zu einer weltweiten Sensation geführt. Der renommierte Wissenschaftler Dr. Tobias Pfingstl von der Karl-Franzens-Universität in Graz, Leiter des österreichischen Wissenschaftlerteams, berichtet über diese bemerkenswerte Geschichte und erörtert das Potenzial der sozialen Medien für wissenschaftliche Entdeckungen.
Von Dr. Tobias Pfingstl 25.5.2021
Ein Team aus österreichischen und japanischen Forschern identifizierte kürzlich eine neue Milbenart aus Japan anhand von Bildern, die ein japanischer Amateurfotograf auf Twitter gepostet hatte. Dies zeigt das Potenzial der sozialen Medien für wissenschaftliche Entdeckungen.
Als Leiter des österreichischen Forschungsteams war ich sehr überrascht über diesen sehr ungewöhnlichen Fund. Normalerweise sind diese winzigen Tiere mit einer Körpergröße von weniger als 1 mm mit bloßem Auge nur schwer zu erkennen und bleiben daher von den meisten Menschen völlig unbemerkt. Daher war es ein großer Zufall, dass wir über die geposteten Bilder stolperten und eine neue wissenschaftliche Entdeckung machten.
Die neue Art wurde erstmals im Mai 2020 von Takamasa Nemoto an einem Fischereihafen in Choshi Port bei Tokio fotografiert. Herr Nemoto war an diesem Tag beim Fischen. Da er keinen Fisch fangen konnte, richtete er seine Aufmerksamkeit auf seine Kamera und beschloss, ein paar Fotos zu machen. Als Amateur-Insektenliebhaber fiel ihm die winzige Gruppe von „Käfern“ auf dem Betonpier auf. Er machte einige Fotos, die er anschließend auf Twitter veröffentlichte.
Professor Satoshi Shimano von der Hosei-Universität in Tokio beschäftigt sich mit der Erforschung von Milben in Japan. Die geposteten Fotos erregten sofort seine Aufmerksamkeit. Milben dieser Art waren an diesem Ort noch nie beobachtet worden, und sie sahen anders aus als alle anderen bekannten Arten. Um den Ort zu ermitteln, an dem die Fotos aufgenommen worden waren, und um Exemplare für weitere Untersuchungen zu sammeln, nahm Professor Shimano Kontakt zu Herrn Nemoto auf, dem Hobbyfotografen, der die Bilder auf Twitter gepostet hatte.
Glücklicherweise konnte Professor Shimano eine Probe der exakt gleichen Milben sammeln, die auf dem Twitter-Post zu sehen waren. Er schickte sie sofort an mein Labor am Institut für Biologie der Karl-Franzens-Universität in Graz, der Hauptstadt des österreichischen Bundeslandes Steiermark. Meine Forschung konzentriert sich auf Küstenmilben. Mein Spezialgebiet ist die Evolution von kleinen Arthropoden. Sehr bald bestätigte ich, dass die „Twitter-Milbe“ eine noch unbekannte Art darstellt. Zusammen mit meinen japanischen Kollegen und dem Amateurfotografen veröffentlichten wir einen Artikel über diese neue Art unter dem Namen „Ameronothrus twitter“ in Species Diversity, einer renommierten internationalen Zeitschrift für die Erforschung der biologischen Vielfalt.
Milben haben einen schlechten Ruf, weil die meisten Menschen sie nur als Parasiten und Schädlinge kennen, zum Beispiel die blutsaugenden Zecken, die Allergie auslösenden Hausstaubmilben oder die pflanzenschädigenden Spinnmilben. Tatsächlich gehören aber nur etwa 9 % aller bekannten Milben zu diesen Kategorien. Alle anderen sind harmlos, und viele spielen eine wichtige Rolle bei der Zersetzung des Bodens und werden sogar bei der Schädlingsbekämpfung gegen andere Schädlinge eingesetzt.
Ameronothrus twitter ist eine dieser harmlosen Milben mit einer Körperlänge von nur 0,7 mm und einer dunkelbraunen Körperfarbe. Sie ernährt sich von Algen und Flechten, die an der Küste wachsen. Die Entdeckung einer neuen Milbenart ist im Grunde nichts Ungewöhnliches, denn jedes Jahr werden mehr als hundert neue Milbenarten entdeckt.
Doch die „Twitter-Milbe“ ist die erste Milbe, die über soziale Medien entdeckt wurde. Die ungewöhnliche Geschichte ihrer Entdeckung macht zwei wichtige Dinge deutlich. Erstens: Um eine neue Art zu finden, muss man nicht unbedingt an einen exotischen Ort in der Mitte von Nirgendwo reisen, neue Arten können überall gefunden werden, sogar auf von Menschenhand geschaffenen Strukturen unter den eigenen Füßen. Zweitens können die sozialen Medien dazu beitragen, mehr neue Arten zu entdecken, indem sie die Beobachtungen von Millionen von Social-Media-Nutzern auf der ganzen Welt veröffentlichen.
Die Verknüpfung von Wissenschaft und sozialen Medien zeigt ihr enormes Potenzial zur Wissenserweiterung, aber es müssen effiziente Wege gefunden werden, um alle Informationen zu filtern und Fake News zu erkennen und zu eliminieren.
Wenn Sie das nächste Mal in Ihrem Garten, auf dem Weg zur Arbeit oder beim Wandern ungewöhnliche Organismen sehen, machen Sie ein Foto und stellen Sie es auf einer Social-Media-Plattform ein – es könnte sich um eine weitere neue Art handeln.