Die jüngste Entscheidung der deutschen Bundesregierung, auf der malerischen Insel Rügen ein Importterminal für verflüssigtes Erdgas (LNG) zu bauen, hat einen heftigen Streit ausgelöst. Der geplante Bau in Sassnitz-Mukran hat bei Tourismusunternehmen, Naturschützern und sogar Wirtschaftsexperten, die ihn für unnötig halten, Bedenken ausgelöst. Nach einer breiten öffentlichen Empörung, die sich unter anderem in einer von über 61 000 Menschen unterzeichneten Petition niederschlug, schien die Regierung die Bedenken der Opposition zu berücksichtigen, änderte jedoch später ihren Standpunkt. Diese Wendung der Ereignisse hat die Kluft zwischen Befürwortern und Gegnern des umstrittenen Projekts vertieft.
Murat Gibadyuko, 14. Juni 2023
Rügen, bekannt für seinen Nationalpark Jasmund, seine Kreidefelsen und unberührten Sandstrände, ist seit langem ein begehrtes Reiseziel, das für seine unberührte Natur geschätzt wird. Der Bau des geplanten Flüssigerdgas-Terminals (LNG) in Sassnitz-Mukran droht jedoch die ruhige Landschaft der Insel zu zerstören. Schiffe aus aller Welt würden das LNG nach Rügen transportieren, und die Tourismusverantwortlichen und die Einwohner sind besorgt, dass ihre geliebte Insel in ein Industriezentrum verwandelt wird. Kai Gardeja, Tourismuschef in Binz, äußerte sich besorgt über den möglichen Rückgang der Touristenzahlen: „Alle Touristen werden es sehen und hören. Wir werden zu einem Industriegebiet.“
Die Dringlichkeit neuer LNG-Kapazitäten in Deutschland ergibt sich aus der Notwendigkeit, schwindende Gaslieferungen aus Russland zu kompensieren. Als Reaktion auf die Unterbrechung der Erdgaslieferketten hat die deutsche Bundesregierung den Aufbau einer eigenen Importinfrastruktur für LNG aktiv vorangetrieben. Um diesen Prozess zu beschleunigen, wurde am 1. Juni 2022 ein Gesetz verabschiedet, das die Nutzung von LNG beschleunigen und die Abhängigkeit von russischem Gas verringern soll. Das Gesetz sieht Bestimmungen für gestraffte Beschaffungsverfahren vor und verzichtet auf bestimmte Umweltverträglichkeitsprüfungen, um den Bau der erforderlichen Importinfrastruktur, einschließlich des geplanten Terminals auf Rügen, zu erleichtern.
Der anhaltende Konflikt in der Ukraine hat das Bestreben Deutschlands, seine Gasversorgung von Russland weg zu diversifizieren, weiter verstärkt und den Aufbau einer eigenen LNG-Importinfrastruktur zur obersten Priorität gemacht. Das geplante LNG-Terminal auf Rügen soll an das Gasleitungsnetz in Lubmin, Vorpommern, angeschlossen werden, wo mehrere Pipelines der deutsch-russischen Nord Stream 1 zusammenlaufen. Diese Infrastruktur würde nicht nur den deutschen Gasbedarf decken, sondern auch Importmöglichkeiten für die Nachbarländer in Mittel- und Osteuropa bieten, die bisher stark auf russisches Gas angewiesen waren.
Rügen soll einer der vorübergehenden LNG-Importstandorte werden, an dem schwimmende Terminals, so genannte Floating Storage and Regasification Units (FSRUs), errichtet werden, doch die örtliche Gemeinde und die regionalen Behörden lehnen die Pläne entschieden ab. Hoteliers, Unternehmer, Anwohner und Naturschützer befürchten nachteilige Folgen für die Umwelt und die lebenswichtige Tourismusbranche, die das Rückgrat der Wirtschaft der Insel bildet. Ihre Bedenken haben zu einer Reihe von Demonstrationen, Meinungsumfragen und einer erfolgreichen Bundestagspetition geführt, die über 61 000 Unterschriften erhielt. Die Petition fordert insbesondere den Ausschluss der LNG-Terminals auf Rügen aus dem LNG-Beschleunigungsgesetz, was das Genehmigungsverfahren verlangsamen würde.
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Wissenschaftler haben der Regierung vorgeworfen, sie dränge auf „massiv überdimensionierte“ Importkapazitäten und berufe sich dabei auf einen erwarteten Rückgang der Gasnachfrage und erhebliche Kapazitäten in den Nachbarländern. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, verteidigte den geplanten Bau eines LNG-Terminals auf der Insel und wies Behauptungen zurück, es werde eine Überkapazität aufgebaut. Laut Habeck ist ein „Sicherheitspuffer“ erforderlich, um eine stabile deutsche und europäische Gasversorgung zu gewährleisten.
Zunächst hatte es den Anschein, dass die deutsche Regierung die Bedenken der Opposition zur Kenntnis genommen hatte, was dazu führte, dass der Bau des LNG-Terminals auf Rügen verschoben wurde. Die Regierung begründete ihre Entscheidung mit Unsicherheiten in Bezug auf den Standort und den Bau. Die spätere Rücknahme dieser Verschiebung hat jedoch zu weiterer Uneinigkeit und Frustration unter den Gegnern des Projekts geführt. Der plötzliche Positionswechsel der Regierung hat die Kluft zwischen den Befürwortern der neuen LNG-Kapazitäten und denjenigen, die über die möglichen ökologischen und wirtschaftlichen Folgen besorgt sind, vertieft.
Der Widerstand gegen die Pläne der deutschen Regierung beschränkt sich nicht auf die Anwohner. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die sich seit Monaten gegen den Bau des LNG-Terminals wehrt, hat sich zu rechtlichen Schritten entschlossen und Klage gegen das Projekt eingereicht. Die Klage bezieht sich insbesondere auf die Genehmigung einer 38 Kilometer langen Verbindungsleitung von der Festlandsküstenstadt Lubmin nach Rügen, die eine große Gefahr für die Meeresökosysteme darstellt.
Während die Debatte weitergeht, hängt das Schicksal des umstrittenen LNG-Terminals in der Schwebe. Die Entscheidung der deutschen Regierung, den Bau trotz des öffentlichen Widerstands und der Petition fortzusetzen, zeigt, wie schwierig es ist, Energiebedarf, wirtschaftliche Interessen und Umweltbelange miteinander in Einklang zu bringen. Der andauernde Streit um Rügen ist ein kleines Beispiel für die globale Debatte über die Zukunft der Energie und das empfindliche Gleichgewicht zwischen Fortschritt und Umweltschutz.