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Hellmut Brunn schildert seine Eindrücke von der 59. Biennale in Venedig: „The Milk of Dreams“. Die weltberühmte Kunstausstellung ist noch bis zum 27. November zu sehen. Dieses Ereignis zieht ein riesiges Publikum, die Presse und viel Aufmerksamkeit in den sozialen Medien an und findet alle zwei Jahre statt. Frauen stehen im Mittelpunkt der Veranstaltung: die Mehrheit der Künstler und der Direktor sind weiblich oder nicht-binär. Die 59. Biennale bietet viele interessante Installationen und Kunstwerke, die das aktuelle politische Klima und die moderne westliche Ästhetik widerspiegeln. Der russische Pavillon ist auffallend leer, ebenso wie die Pavillons der meisten islamischen Länder.

Hellmut Brunn, 17. November 2022

Mit dem Vaporetto, die so sympathisch-nostalgischen Venedig-ÖPNV-Schiffchen,  an den „Giardini“ (Gartenanlage an der östlichen Spitze der Hauptinsel) gelandet, geht man am besten gleich rechts zur Ecke am Kanal zu den Ausstellungshallen – erbaut um 1900 – der alten europäischen Großmächte: Frankreich – England – Deutschland und Russland. Und schon ist man in der Gegenwart, denn das recht große Russland-Gebäude ist geschlossen.

Frankreich betont mit einer Änderung des Biennale-Slogans mit nun „Dreams Have No Titles“ seine Besonderheit. In einem kleinen halbkreisförmigen Vorbau wird das Verhältnis zu Algerien problematisiert, um dann im Inneren in Aspekten das jedem so sympathische Frankreich zu präsentieren. Um ein veritables Bistro im Zentrum gruppieren sich typische Gegenstände für Cinema-Utensilien, dann Malerei, dann die Schriftstellerei mit einem benutz-baren Bett – wohl in Erinnerung an Proust – samt Bibliothek.

Biennale 2022
Impressions © Andrea Avezzù

Großbritannien macht es sich recht einfach mit einer ausschließlichen Konzentration auf das aktuelle Musikgeschehen; ohne jede Kommentierung werden auf Fernsehern die wichtigsten schwarzen Sänger*innen zu Gehör gebracht.

Doch dann der von mir mit Spannung erwartete deutsche Beitrag: Von Kritikern der Feuilletons meist etwas distanziert beurteilt ergibt eine genauere Betrachtung der mit dem Beitrag beauftragten Maria Eichhorn meine große Anerkennung. Sie setzte sich intensiv mit diesem, Deutschland repräsentierenden Gebäude auseinander, wobei sie dessen Umbau/Neubau aus dem Jahre 1938 radikal problematisiert. Die Idee von Eichhorn diesen Klotz abzureißen zugunsten eines aktuellen Neubaus blieb Idee. Stattdessen hinterfragt sie die „Grundlage“ unserer geglückten Demokratie. Im Zentrum ließ sie den Boden aufreißen mit einem Blick in das originale Kellerfundament, was wie eine offene Wunde wirkt.

Biennale
Biennale
Exhibition rooms © Andrea Avezzù

Auch an die Schicksale zahlreicher Italiener, die in diesen Jahren sich gegen die Zwangsmaßnahmen der deutschen faschistischen Machthaber aufgelehnt hatten, wird gedacht. Da ist zB Eduardo mit dem “schönen“  Nachnamen „Melloni“, der seine Funktion als Bahnchef genutzt hatte, zahlreichen nach Venedig geflüchteten Personen den von der Gestapo so „beliebten“ Flaschenhals Bahnhof zu umgehen….seine Spur verliert sich in Dachau.

Der Pavillon der USA mit Gebäude-Veränderung und Inhalt bleibt der für mich der beeindruckendste. Die Afroamerikanerin Simone Leigh, verarbeitet in ihrem Beitrag – die ihr zugestandene Freiheit konsequent nutzend – zu einer Auseinandersetzung mit dem Slogan „Black Lifes Matters“. Auch sie problematisiert das Gebäude und hüllt dessen großen Baukörper total mit einer in Afrika traditionellen Form der Behausung, d.h. einem Strohdach gehalten auf zahlreichen Hölzern.

Biennale
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Biennale
Four pictures of the pavilon of the USA © Marco Cappelletti

Wie schön, wie naturverbunden, insbesondere man es vergleicht man es mit den meisten unserer ja so traditionell gewordenen Betonbauten. Im Zentrum eine riesige Skulptur einer selbstbewussten Frau, abstrakt figuriert, deren Hängebusen im Ensemble einfach passt. Im Innern dann nur weibliche Skulpturen, alle in einem sehr angenehm wirkenden dunkleren Blau. Im ersten Raum eine knieende schwarze Frau in einem Wassergeviert beim Wäschewaschen. Dann im zentralen Raum eine bildhübsche, einer Marylin Monroe vergleichbaren Frau in Lebensgröße, was in letzten Raum von einer weiteren Skulptur einer schönen Frau mit etwas übertriebenen Busen ergänzt wird.

Ansonsten in diesem Teil der Biennale, für die man einen ganzen Tag einplanen sollte (sie ist noch bis zum 27. November geöffnet) die in zahlreiche Räume gegliederten Ausstellungen im Hauptgebäude. Sehr gedankenanspielend die lebensgroße Darstellung eines Elefanten in einem Spiegelsaal von Katharine Fritsch gleich beim Eintritt.

Biennale
Biennale
Two pictures of the pavilon of the  France © Marco Cappelletti

Erstaunlich auch die Folgen, dass man Cecilia Alemani, zur Leiterin erkoren hat, die wiederum veranlasst haben dürfte, dass ca. 90 Prozent der ausgestellten Kunstwerke von Frauen und nicht-binären Menschen stammen. In dieser aktuellen Ausstellung wird die Auseinandersetzung der Künstlerinnen mit ihrem Geschlecht bewusst gezeigt.

Bemerkenswert die Abwesenheit der meisten islamisch geprägten Länder, wobei Saudi-Arabien ihren Platz zwar ausnutzt, jedoch ausschließlich mit einer vierzig Meter langen Installation aus getrockneten Palmzweigen „The Teaching Tree“ vom Saudi Künstler Muhannad Shono ohne jede weitere Kommentierung. Angenehm dagegen die Erfahrung, wie auch kleine Länder wie z. B. Litauen – diese besteht aus zahlreiche kleine Skulpturen oder  Malta (Caravaggios Enthauptung des Johannes konfrontiert mit Tropfen geschmolzenen Stahls) ihren jeweiligen Raum mit interessanten, zum Nachdenken anregenden Kunstwerken ausgestattet haben.

Biennale
Biennale
Impressions © Andrea Avezzù

Insgesamt 80 Ländern mit 213 Künstlern werden auf dem Areal des historisch nicht nur für Venedig so wichtigen „ARSENALE“, des räumlich weit getrennten anderen Teiles der Ausstellung, zur Verfügung gestellt. Auch wenn man die gesamte Anlage des ARSENALS mit ihren diversen Gebäuden in ihrer Harmonie begeistert, so hatten sie doch die zentrale Funktion einer Schiffswerft. Fast niemand wisse um ihre historischen Bedeutung als glänzender Ort einer fundamentalen Erfindung Mitte des 16ten Jahrhundert: Produktion per Fließband.

Nicht der Autobauer Henry Ford hat Anfang des 20. Jahrhunderts diese Innovation erfunden, sondern hier konnte man – wegen der drohenden Übermacht der riesigen türkischen Flotte in höchster Not mit diesem System pro Tag ein ganzes Schiff herstellen. Die gewonnene Schlacht bei Lepanto im Jahr 1571 – besonders mit Hilfe dieser neugebauten Schiffe – bewahrte Europa vor einer türkischen Herrschaft.

Picture top: Biennale 2022 © Roberto Marossi
All pictures courtesy of La Biennale die Venezia 2022.
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