Der international anerkannte Experte für Terrorismus und Extremismus, Professor Nicolas Stockhammer, gab iGlobenews ein exklusives Interview. Terrorismus muss auf multinationaler Basis bekämpft werden, um Freiheit und Sicherheit zu wahren. Die Zusammenarbeit von Sicherheits- und Nachrichtendiensten ist entscheidend: „Es braucht ein Netzwerk, um ein Netzwerk zu besiegen“.
Diana Mautner Markhof, 18. Februar 2022
Professor Dr. Nicolas Stockhammer, international anerkannter Experte für Terrorismus und Extremismus, gab iGlobenews ein Exklusivinterview, in dem er über aktuelle Entwicklungen im Kampf gegen den Terrorismus, die Radikalisierung von Anti-COVID-Demonstranten, die Rolle und Verantwortung von sozialen Medien und Fake News, die Antwort der EU auf Cyberkriminalität und die Frage, ob die israelische Spionagesoftware PEGASUS ein brauchbares Instrument zur Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus in Europa ist, sprach.
Professor Stockhammer hat einige wichtige Ratschläge für politische Führer, nämlich „sich aus internationalen Konflikten zurückzuziehen, wenn man dort nichts zu suchen hat“. Indem sie den Schauplatz des Konflikts verlassen, können die Länder das Risiko verringern, Ziel von Vergeltungsmaßnahmen zu werden. Konflikte im Ausland – sei es in Syrien, Afghanistan, Irak oder Tschetschenien – haben den Westen heimgesucht, indem sie zu einer Massenmigration geführt haben, bei der auch Terroristen unbemerkt nach Europa gelangt sind. Darüber hinaus sind mindestens 6000 ausländische terroristische Kämpfer in ihr europäisches Heimatland zurückgekehrt oder werden es noch tun, nachdem sie in Syrien und im Irak für den IS gekämpft haben.
Die Länder müssen ihre grenzüberschreitenden Aktivitäten verstärken, um der Bedrohung durch den Terrorismus zu begegnen und die Cyberkriminalität zu bekämpfen. Die sogenannten „drei Ks“ sind das Herzstück jeder nachrichtendienstlichen Arbeit: Kooperation, Koordination und Kommunikation. Die Staaten müssen die lange vorherrschende Überzeugung aufgeben, dass die Terrorismusbekämpfung eine Frage der nationalen Sicherheit ist. Der Slogan „jeder für sich“ reicht in unserer modernen, vernetzten Welt einfach nicht mehr aus. „Es braucht ein Netzwerk, um ein Netzwerk zu besiegen.“
Am 15. August 2015 öffnete die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer mittlerweile berühmten(-berüchtigten) Aussage „Wir schaffen das“ die Tore Europas für eine unkontrollierte Welle von Migranten und Flüchtlingen. Skrupellose Menschenhändlerringe profitierten von der Notlage von Millionen verzweifelter Menschen, die versuchten, nach Europa zu gelangen, das daraufhin gestürmt und in eine tiefe Krise gestürzt wurde. Österreich mit seinen 8,9 Millionen Einwohnern nahm 2015 mehr als 100 000 Asylbewerber aus Kriegsgebieten wie Afghanistan und Syrien auf. Auch Terroristen und Kriminelle nutzten die „Einladung“ von Bundeskanzlerin Merkel und kamen heimlich nach Europa.
Am 13. Januar 2022 fällte ein deutsches Gericht in Koblenz eine bahnbrechende Entscheidung, die sich auf die universelle Zuständigkeit berief, um einen syrischen Kriegsverbrecher zu verurteilen, der in Deutschland Asyl erhalten hatte. Professor Stockhammer sieht in diesem Urteil einen wichtigen Präzedenzfall, dem andere Länder folgen können und sollten, trotz der Schwierigkeiten, diese Personen vor einem nationalen Gericht zu verfolgen. Das deutsche Gericht berief sich auf das Nürnberger Prinzip, um zu bestimmen, was ein Kriegsverbrechen ist. Das deutsche Urteil war das weltweit erste Verfahren dieser Art im Zusammenhang mit den vom Regime von Bashar al-Assad begangenen Übergriffen.
Professor Stockhammer sieht eine weitere Gefahr: „Der Terrorismus ist ein Problem der zweiten Generation von Einwanderern.“ Er ist der Meinung, dass der Westen eine gemeinsame Anstrengung unternehmen muss, um die Radikalisierung der nächsten Generation derjenigen zu verhindern, die als Flüchtlinge oder Migranten nach Europa gekommen sind. Während das Risiko, von einem vom Dach fallenden Ziegelstein getroffen zu werden, höher ist als Opfer eines Terroranschlags zu werden“, ist er der Meinung, dass der hausgemachte Terrorismus die neue Bedrohung der Zukunft ist.
Die Technologie spielt bei der Radikalisierung eine große Rolle. Kommunikationsplattformen und soziale Medien werden effektiv zur Kontaktaufnahme, zur Verbreitung von Informationen und zur Organisation von Aktionen genutzt. Telegram ist gegenwärtig die Plattform der Wahl. Laut Professor Stockhammer beobachten wir eine Virtualisierung der Radikalisierung, Indoktrination und Planung von terroristischen Aktivitäten. Bei all diesen Schritten spielen das Online-Universum und die sozialen Medien eine zentrale Rolle, da die Menschen nach alternativen Wegen der Informationsbeschaffung suchen, weil sie den Mainstreammedien nicht mehr glauben.
Diese Radikalisierung findet auch bei Anti-COVID-Bewegungen statt. Diese Gruppen haben gelernt, Codes zu verwenden, um ihre Botschaften zu transportieren. Um diese Codes, die immer komplexer werden, zu entschlüsseln, werden Spezialisten im Bereich der Nachrichtendienste benötigt. Um diesen neuen Online-Bedrohungen zu begegnen, werden Teams aus qualifizierten Technikern, IT-Spezialisten und Extremismus-Experten benötigt.
Professor Stockhammer zufolge gibt es drei Stufen des Extremismus, die vom passiven Widerstand über den aktivistischen Extremisten bis hin zum gewalttätigen Aktivisten reichen. In einem kürzlich veröffentlichten Papier über “ Corona-Maßnahmen-Gegner: Rezente Akteure, Ideologieelemente und ihr stochastisches Gewaltpotenzial“ erörtert Professor Stockhammer Polarisierung und Radikalisierung. Seine Schlussfolgerung ist, dass es heute keine Grauzonen mehr gibt – alles ist entweder schwarz oder weiß. Letztlich führt dies zu dem, was er die „Erosion des Zusammenhalts“ nennt. Die Mitte unserer Gesellschaft erodiert, während die extremen Enden des ideologischen Spektrums an Unterstützung gewinnen. Dies wiederum wird zu mehr Gewalt führen, da immer mehr Menschen Ausschreitungen und Gewalt gegen die Polizei, gegen Ärzte, die impfen, und gegen Journalisten akzeptieren. Dies zeigt sich auch an der zunehmenden Gewalt bei den Anti-COVID-Demonstrationen in ganz Europa.
Professor Stockhammer sieht die Demokratie bedroht und hält es für unerlässlich, diese Trends zu erkennen und Lösungen zu finden, um ihnen zu begegnen. Die Antwort für die Europäer kann nicht PEGASUS sein – die ultimative Spionagesoftware aus Israel. Professor Stockhammer plädiert dafür, andere Lösungen zu finden, die die Rechte auf Privatsphäre und Datenschutz nicht aushöhlen. Für ihn ist es eine „Frage der Abwägung“ zwischen Bedrohungen der Sicherheit und der Freiheit. Im Moment ist die Freiheit das höchste Gut in den westlichen Gesellschaften. Es bleibt abzuwarten, wie die Regierungen in Zukunft mit diesem Balanceakt umgehen werden.