Die umstrittene Entscheidung Japans, radioaktiv verseuchte Abwässer aus Fukushima in den Pazifik zu leiten, stößt auf den Widerstand der Republik Korea, Chinas und anderer Nachbarländer. Die Auswirkungen auf die Meeresfauna und -flora sind möglicherweise verheerend – trotz gegenteiliger Beteuerungen der japanischen Regierung.
Yegor Shestunov, 9. Mai 2022
Am 13. April 2021 gab die japanische Regierung die Entscheidung bekannt, 1,4 Millionen Tonnen kontaminierte Abwässer aus dem Atomunfall von Fukushima in den Pazifik einzuleiten. Das kontaminierte Wasser wurde am Standort Fukushima Daiichi behandelt, um die meisten, aber nicht alle radioaktiven Verunreinigungen zu entfernen. Während Japan mit Experten und Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeitet und akribische Inspektionen, absolute Sicherheit und Transparenz verspricht, haben sich Nachbarstaaten, lokale Fischerei- und Umweltgruppen vehement dagegen ausgesprochen und behaupten, solche Maßnahmen seien äußerst unverantwortlich.
Die Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 war das Ergebnis eines starken Erdbebens, gefolgt von einem Tsunami, der das Kernkraftwerk überflutete. Durch den Unfall wurden die Stromversorgung und die Kühlung unterbrochen, so dass drei Reaktoren überhitzten, ausfielen und das Kühlwasser verseucht wurde. Die Katastrophe von Fukushima war der schwerste Atomunfall seit Tschernobyl im Jahr 1986. Auch wenn der radioaktive Niederschlag nicht mit dem Ausmaß von Tschernobyl vergleichbar ist, so hatte er doch erhebliche politische, soziale und wirtschaftliche Auswirkungen, insbesondere auf die Beziehungen zwischen Japan und seinen Nachbarländern.
Die 1,4 Millionen Liter kontaminiertes Wasser werden in 1000 großen Tanks vor Ort gelagert. Die Tanks enthalten das kontaminierte Wasser, das seit dem Unfall zur Kühlung des Reaktors verwendet wurde, sowie das gesammelte kontaminierte Regenwasser und die Abwässer des Geländes. Jeden Tag werden weitere 140 Tonnen Wasser in den Tanks aufgefangen, um eine weitere mögliche Kontamination zu verhindern. Bis zum Sommer 2022 werden voraussichtlich alle Tanks, die 1,4 Millionen Tonnen radioaktives Wasser aufnehmen sollen, voll sein.
Diese Situation wird sich jedoch bald ändern: Japan wird dieses Wasser in den nächsten 30 Jahren schrittweise in den Pazifischen Ozean einleiten. Die Behörden versprechen, dass sie vor der Freigabe des Wassers alle behördlichen Vorschriften und Sicherheitsstandards einhalten und das Wasser so gut wie möglich aufbereiten werden. Das Wasser wird mit dem Advanced Liquid Processing System behandelt, einem Verfahren, mit dem die meisten Radionuklide entfernt werden, mit Ausnahme von Tritium, das sich nicht so leicht entfernen lässt. Tritium ist eine Form von Wasserstoff, die schwache Strahlung aussendet und nicht leicht abgetrennt werden kann, da sie die gleichen Eigenschaften wie Wasser hat. Das aufbereitete Wasser wird dann durch einen speziell konstruierten Unterwassertunnel etwa einen Kilometer von der Küste entfernt gebracht und in den nächsten drei Jahrzehnten abgeleitet.
Die japanischen Behörden behaupten, dass die Ableitung des Wassers nicht ewig aufgeschoben werden kann und absolut notwendig ist. Sie geben an, dass ihnen der Platz für die Lagerung des kontaminierten Wassers ausgeht, und beklagen, dass die Wassertanks die Bergung von Brennelementresten vor Ort unmöglich machen, viel Platz beanspruchen und den weiteren Wiederaufbau des Kraftwerks Fukushima erschweren.
Der japanische Umweltminister Yoshiaki Harada kam ebenfalls zu dem Schluss, dass die schrittweise Ableitung des kontaminierten Wassers ins Meer die einzige praktikable Lösung für Japan sei. Der japanische Ministerpräsident Fumio Kishida erklärte, die Abwasserproblematik dürfe nicht aufgeschoben werden, und versicherte der Bevölkerung, dass die Ableitung des kontaminierten Wassers völlig unbedenklich sei. Taro Aso, stellvertretender Ministerpräsident, erklärte, dass das aufbereitete Wasser aus Fukushima alle Normen für sicheres Trinkwasser erfüllen werde. Kabinettschef Hirokazu Matsuno erklärte, Japan werde die Überprüfung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) über die Sicherheit der Einleitung des Wassers in den Pazifik begrüßen.
Japanische Regierungsbeamte und Vertreter der IAEO versicherten der Öffentlichkeit jedoch, dass die schrittweise überwachte Freisetzung des behandelten Wassers sicher sei. Die japanischen Behörden behaupten, dass die Auswirkungen der Exposition gegenüber dem Abwasser nur 1/100000 der natürlichen Hintergrundstrahlung in Japan betragen und dass die schrittweise Freigabe dieses Wassers in den nächsten 30 Jahren dem Meeresleben in keiner Weise schaden dürfte.
Die Fukushima-Taskforce der IAEO hat den ersten einer Reihe von Berichten über ihre Überprüfungs- und Bewertungsaktivitäten veröffentlicht. Der Bericht befasst sich mit Japans Plänen zur Einleitung von behandeltem Fukushima-Abwasser, das den Sicherheitsstandards der IAEO entsprechen muss. Diese Standards sind die weltweit anerkannte Referenz für den Schutz der Bevölkerung und der Umwelt vor den schädlichen Auswirkungen ionisierender Strahlung. Der Bericht befasst sich mit einem breiten Spektrum von Themen wie den Eigenschaften des behandelten Abwassers des Advanced Liquid Processing System, den sicherheitsrelevanten Aspekten des für die Ableitung des Abwassers gebauten Systems, der radiologischen Umweltverträglichkeitsprüfung, der behördlichen Aufsicht, den Programmen zur Überwachung der Quellen und der Umwelt, dem Strahlenschutz am Arbeitsplatz und der Einbeziehung der betroffenen Parteien.
Einige Nichtregierungsorganisationen, wie z. B. Greenpeace, behaupten, dass das ins Meer eingeleitete Wasser langfristig die DNA von Menschen und anderen Organismen schädigen kann. Shaun Bernie, ein leitender Nuklearexperte von Greenpeace Japan, sagte, dass die Konzentration des radioaktiven Materials im Vergleich zu früheren Unfällen zwar nicht signifikant sei, aber für das Meeresleben und die menschlichen Organismen nicht von Vorteil sei. Große lokale Fischereibetriebe in Japan haben sich ebenfalls entschieden gegen das Projekt ausgesprochen und erklärt, dass die Regierung die volle Verantwortung für alle künftigen negativen Auswirkungen tragen wird.
Japan wurde vorgeworfen, eine Entscheidung von internationaler Tragweite getroffen zu haben, ohne sich mit den Nachbarstaaten beraten zu haben. China hat die Entscheidung, das Wasser ins Meer zu leiten, hartnäckig kritisiert und sein tiefes Bedauern über die offizielle Ankündigung Japans zum Ausdruck gebracht. China versprach eine entschlossene Reaktion, was die ohnehin schon angespannten Beziehungen zwischen den beiden Ländern noch weiter verschlechterte. In einer gemeinsamen Erklärung erklärten die Präsidenten Russlands und Chinas, Wladimir Putin und Xi Jinping, dass das Wasser auf der Grundlage von Vereinbarungen zwischen Japan und seinen Nachbarn gehandhabt werden sollte. Die Republik Korea hat sich ebenfalls entschieden gegen die Maßnahme ausgesprochen und versprochen, dafür zu sorgen, dass die Südkoreaner vor dem verseuchten Wasser geschützt sind. Südkorea wird sein Einfuhrverbot für Meeresfrüchte aus der betroffenen japanischen Region aufrechterhalten.
„Viele Länder und internationale Umweltgruppen haben in Frage gestellt, ob das Wasser wirklich unbedenklich ist. Warum leitet die japanische Seite es nicht in Seen ein oder nutzt es für zivile Zwecke, anstatt es ins Meer zu leiten? Und warum versucht sie nicht, im eigenen Land mehr Lagertanks für das Wasser zu bauen?“, sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Zhao Lijian.
Die bevorstehende Einleitung hat bereits zu einer Reihe von diplomatischen Auseinandersetzungen geführt. China, die Republik Korea, Russland und einige andere Länder sowie Nichtregierungsorganisationen und örtliche Fischer haben große Besorgnis oder Unzufriedenheit mit Japans Entscheidung geäußert und offiziell protestiert. Die Republik Korea erwägt sogar die Möglichkeit, Japan vor dem Internationalen Seegerichtshof (ITLOS) zu verklagen und über den ITLOS vorläufige Maßnahmen zu beantragen. Auf der ersten Sitzung des Kooperationsmechanismus für den Dialog über Meeresangelegenheiten zwischen China und der Republik Korea am 14. April brachten Peking und Seoul erneut ihre gemeinsame Ablehnung des japanischen Plans zur Einleitung von nuklearen Abwässern zum Ausdruck.
Während das Ausmaß der Schäden für Mensch und Meer noch nicht feststeht, haben die politischen Auswirkungen zwischen Japan und seinen Nachbarn bereits begonnen.