Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer hat im März 2023 die Neutralitätsverpflichtung Österreichs erneut bekräftigt. Die kleine Oppositionspartei NEOS fordert, dass Österreich seine Neutralität aufgibt und der NATO beitritt. Die Neutralität hat Österreich gut getan und sich als vorteilhaft und nützlich erwiesen. Neutrale Staaten haben eine wichtige Rolle zu spielen, insbesondere in Zeiten von Krieg und Konflikt. Österreich wird sich nicht den anderen „neutralen“ Ländern Schweden und Finnland anschließen, die der NATO so schnell wie möglich beitreten wollen.
Heinz Gärtner, 13. März 2023
Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer hat den Status und die Verpflichtung Österreichs zur Neutralität bekräftigt. In seinem Plan „Österreich 2030“, den er am 10. März 2023 vorstellte, erklärte der Bundeskanzler, dass „die Neutralität ein fester Bestandteil“ der österreichischen Sicherheitsstrategie sei. Sie hat Österreich seit dem Zweiten Weltkrieg gute Dienste geleistet.
Es gibt viele Definitionen von Neutralität, die sich seit dem 19. Jahrhundert entwickelt haben. Nach dem Beginn des Kalten Krieges verlagerte sich der Schwerpunkt der Neutralitätsdefinition von der Nichtbeteiligung an fremden Kriegen und militärischen Konflikten auf die Nichtbeteiligung an Militärbündnissen. Neutralität war nie eine notwendige Bedingung für Frieden, aber sie hat historisch gesehen eine der möglichen Kriegsursachen vermieden: die Beteiligung an Kriegen, die von Militärbündnissen geführt werden. In Bündnissen verpflichten sich die Mitgliedstaaten einzeln und gemeinsam, anderen Mitgliedern zu Hilfe zu kommen, auch militärisch, wenn sie von außerhalb des Bündnisses bedroht oder angegriffen werden. Ein neutraler Staat kann dieses Versprechen nicht geben, um sich am Krieg eines anderen Staates zu beteiligen. Er behält sich aber auch das Recht vor, sich einer solchen Forderung nicht beugen zu müssen. So ist eine Mitgliedschaft in der NATO für einen neutralen Staat ausgeschlossen, da deren Gründungsvertrag eine ausdrückliche Verpflichtung zur militärischen Hilfeleistung enthält. Diese Verpflichtung wurde im jüngsten strategischen Konzept der NATO auf chinesische Bedrohungen ausgedehnt.
Damit die Neutralität von den Großmächten respektiert wird, muss ein neutraler Staat zwei Bedingungen erfüllen: Der Status der Neutralität muss glaubwürdig und berechenbar sein, und der neutrale Staat muss politisch nützlich sein. Glaubwürdigkeit bedeutet, dass ein neutraler Staat seine Neutralität auch in Friedenszeiten unmissverständlich kommunizieren muss. Er darf auch keine Bedrohung darstellen, d.h. er darf nicht einem Bündnis beitreten, das von einer Seite als feindlich empfunden wird, oder diese Absicht vermitteln. Die Glaubwürdigkeit wird auch durch die Tatsache unterstrichen, dass der neutrale Staat bewaffnet ist. US-Präsident Dwight Eisenhower zum Beispiel stimmte der österreichischen Neutralität nur unter der Bedingung zu, dass Österreich seine Neutralität verteidigen könne.
Der neutrale Staat kann seinen Nutzen und seine Nützlichkeit unter Beweis stellen, indem er die Funktion eines Pufferstaates übernimmt oder gute Dienste anbietet und im weitesten Sinne als Vermittler auftritt. Auf diese Weise kann der neutrale Staat sehr gute Sicherheitsgarantien erhalten. Seit der Zeit des Kalten Krieges haben die Neutralen beide Rollen übernommen. Einerseits die Pufferfunktion: Mit der für 2022 angekündigten Absicht Finnlands und Schwedens, der NATO beizutreten, haben sie die Bündnismitgliedschaft der Neutralität vorgezogen. Damit haben sie ihre Rolle als Pufferstaaten gegenüber der NATO aufgegeben, die sowohl von der Sowjetunion als auch von Russland anerkannt wurde. Sie werden nun von Russland als Feindstaaten eingestuft. Mit dem Beitritt zur NATO wird Finnland als Teil ihrer Ostflanke, d.h. als Frontstaat, behandelt, was auch die Positionierung seiner Waffen im Vorfeld einschließt.
Neutrale Staaten können ihre „guten Dienste“ anbieten, z.B. ihr Territorium und ihre Vermittlung, um Konflikte zu vermeiden und zu lösen. Sie können als Vermittler fungieren, um den wirtschaftlichen und diplomatischen Austausch aufrechtzuerhalten. Die neutralen und bündnisfreien Staaten Europas zum Beispiel haben diese Aufgabe im Rahmen des KSZE-Prozesses seit den 1970er Jahren übernommen.
Großmächte wollen, dass die etablierte Neutralität von anderen Großmächten respektiert wird. US-Präsident Eisenhower signalisierte, das neutrale Österreich bei Bedrohung zu verteidigen, obwohl Österreich nicht der NATO angehört. Österreich, das Flüchtlingen des ungarischen Aufstands von 1956 half, wurde von der Sowjetunion beschuldigt, Ausbildungslager für die Aufständischen zu betreiben und Waffen über die ungarische Grenze zu schmuggeln. Moskau wollte diese Art der Neutralität nicht akzeptieren. Das US-Außenministerium drohte, dass „ein Angriff der Sowjetunion auf Österreichs Neutralität den Dritten Weltkrieg bedeuten würde“.
Der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky argumentierte in dieser Tradition, als er half, viele der internationalen Organisationen in Wien anzusiedeln. Dies geschah auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges mit den gegenseitigen nuklearen Bedrohungen durch die USA und die Sowjetunion. Kreisky sah einen Nutzen für die Großmächte darin, dass das neutrale Österreich internationale zwischenstaatliche Organisationen in Wien ansiedelte und damit eine gewisse Garantie gegen einen nuklearen Angriff bot. Im Sinne einer „engagierten Neutralität“ sollten aber auch neutrale Staaten Stellung beziehen, denn sie sind nicht wertneutral und dürfen es nicht sein. Vielmehr bedeutet „engagierte Neutralität“, zu schweren Menschenrechtsverletzungen, Völkermord und Krieg Stellung zu beziehen. Neutrale Staaten sind jedoch nicht gezwungen, die Positionen von Großmächten oder Bündnissen zu übernehmen. Anders als Bündnisse stellen neutrale Staaten keine Bedrohung für Großmächte dar.
Engagierte Neutralität ist also das Gegenteil von Untätigkeit. Sie kann in Zeiten sich zuspitzender Konfrontationen einen wertvollen Beitrag zur Mediation und Deeskalation leisten. Sie bedeutet, sich einzumischen, wann immer es möglich ist, und sich herauszuhalten, wenn es nötig ist.