In den letzten 10 Jahren hat sich China zu einem der wichtigsten Handelspartner und Investoren in Serbien entwickelt. Die Nettozuflüsse ausländischer Direktinvestitionen (ADI) aus China stiegen von 2010 bis 2022 von 2,4 Millionen Euro auf rund 1,4 Milliarden Euro. China gewinnt auf dem westlichen Balkan auf Kosten der EU an geostrategischem Einfluss.
Bernd Christoph Ströhm
18. Jänner 2024
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Die Folgen der Großen Rezession von 2008 beschleunigten Chinas Pläne, in Südosteuropa strategisch zu investieren. Im Jahr 2009 war Griechenland gezwungen, zwei Docks des griechischen Hafens Piräus für 35 Jahre an die chinesische Staatsreederei COSCO zu verpachten. China erwarb 2016 eine Mehrheitsbeteiligung am Hafen von Piräus, wobei COSCO 67 % kontrollierte. Die chinesischen Investitionen in den Hafen von Piräus haben ihn zu einem der wichtigsten Häfen im Mittelmeerraum gemacht.
Die Schifffahrtsgesellschaft COSCO spielte eine entscheidende Rolle für Chinas „Belt and Road Initiative“ (BRI) und die „Maritime Seidenstraße“ (MSR). Die BRI ist der wichtigste Rahmen für die Ausweitung der geoökonomischen Präsenz Chinas in Südosteuropa, einschließlich des westlichen Balkans. Mit der Einrichtung der BRI ist China in den letzten zehn Jahren zu einem der wichtigsten Handelspartner Serbiens geworden, wobei die chinesischen Netto-Direktinvestitionen von 2010 bis 2022 von 2,4 Millionen Euro auf rund 1,4 Milliarden Euro gestiegen sind.
Trotz seiner engen Beziehungen zu den Regierungen Ungarns und Serbiens hat China mit seinem Projekt der „Neuen Seidenstraße“ in Europa zunehmend Schwierigkeiten. In den letzten Jahren haben zahlreiche Staaten – und die EU als Ganzes – aktiv versucht, den wirtschaftlichen Einfluss Chinas auf ihren Märkten zu verringern, da sie sich Sorgen über Einflussnahme und Spionagevorwürfe machen. Italien erwägt sogar, aus dem Projekt „Neue Seidenstraße“ auszusteigen.
Das Projekt „Neue Seidenstraße“ oder BRI ist auch wegen Chinas „Schuldendiplomatie“ in die Kritik geraten. Viele Länder haben sich im Zusammenhang mit diesen Infrastrukturprojekten bei China hoch verschuldet. Dies gilt auch für chinesische Investitionen auf dem Westbalkan, die über Kredite finanziert werden.
Serbien beispielsweise muss staatliche Garantien geben, um die Realisierung von Infrastrukturprojekten zu ermöglichen, was wiederum den Einfluss Chinas als großer ausländischer Investor auf Serbien erhöht. Die Verschuldung Serbiens bei China ist unter anderem wegen der mangelnden Transparenz der Kreditverträge zwischen China und Serbien problematisch. Im Falle Montenegros sind Berichte aufgetaucht, wonach die staatlich garantierten Kreditverträge mit China auch Klauseln enthalten, die im Falle eines Zahlungsausfalls die Übertragung von Land oder Vermögenswerten an chinesische Gläubiger erleichtern.
Viele Jahre lang galt Russland als der große Verbündete Serbiens auf dem westlichen Balkan – wenn auch eher ideologisch als wirtschaftlich. Durch den militärischen Einmarsch Russlands in der Ukraine gelang es China, sich größeren wirtschaftlichen und politischen Einfluss in der Region zu sichern. Die EU hingegen wird in Serbien und anderen Ländern des westlichen Balkans als unnahbar und technokratisch wahrgenommen.
Serbien ist ein attraktives Land für chinesische Investitionen. Der geoökonomische Einfluss Chinas auf Serbien wurde im Oktober 2023 besonders deutlich, als der serbische Präsident Vučić den Gipfel des Berliner Prozesses in der albanischen Hauptstadt Tirana brüskierte und stattdessen persönlich an Chinas Seidenstraßen-Gipfel in Peking teilnahm. Während des Gipfels unterzeichneten Präsident Vučić und der chinesische Präsident Xi Jinping ein Freihandelsabkommen, das die engen wirtschaftlichen Beziehungen Serbiens zu China festigte.
Das Freihandelsabkommen mit Serbien ist das erste derartige Abkommen, das China mit einem Land in Mittel- oder Osteuropa geschlossen hat. Nach Inkrafttreten des Abkommens Mitte 2024 werden die Bürger Serbiens und Chinas schrittweise keine Einfuhrsteuern mehr auf bestimmte Produkte zahlen. Insgesamt werden 10 412 serbische und 8930 chinesische Produkte von dem Handelsabkommen profitieren.
Das Ergebnis der vorgezogenen Parlaments- und Kommunalwahlen in Serbien im Dezember 2023 hat gezeigt, dass eine Änderung der serbischen Außenpolitik nicht in Sicht ist. Die regierende Serbische Fortschrittspartei“ hat sowohl die Parlamentswahlen als auch die Wahlen in der Stadt Belgrad für sich entschieden. Vertreter internationaler Menschenrechtsorganisationen berichteten über Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung.
Aufgrund der engen Beziehungen Serbiens zu Russland und China behandelt die Europäische Kommission das laufende EU-Beitrittsverfahren Serbiens als sensibles Thema. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat klar gesagt, dass Serbien in die EU gehöre, aber dass der Beitritt des Landes daran geknüpft werden müsse, dass Serbien seine Außenpolitik an den EU-Block anpasse. Die EU will die engen Beziehungen Serbiens zu China einschränken und erwartet, dass Serbien sich dem Sanktionsregime der EU gegen Russland anschließt.
Obwohl die EU für Serbien und andere Länder des westlichen Balkans ein wichtiger Partner bleibt, wenn man den Gesamthandel und die Investitionen betrachtet, ist der EU-Beitrittsprozess Serbiens noch lange nicht abgeschlossen: 22 von 35 Kapiteln wurden bisher geöffnet, nur zwei Kapitel sind vorläufig geschlossen.
Die jüngste Verschlechterung der Sicherheitslage im Nordkosovo hat auch die Beziehungen zwischen Serbien und der EU belastet. Im Oktober 2023 nahm das Europäische Parlament einen gemeinsamen Entschließungsantrag zum Banjska-Anschlag an, in dem Maßnahmen gegen die serbische Regierung gefordert werden, falls die Ermittlungen eine direkte Beteiligung der serbischen Regierung an dem Angriff serbischer Militanter auf die Kosovo-Polizei am 24. September 2023 ergeben sollten. Der ehemalige stellvertretende Vorsitzende der kosovarischen Partei „Serbische Liste“, Milan Radojicic, und der persönliche Leibwächter des serbischen Geheimdienstchefs Aleksander Vulin sollen an diesem Vorfall beteiligt gewesen sein.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission von der Leyen hat erkannt, dass der Enthusiasmus für Reformen in den westlichen Balkanstaaten, die für einen EU-Beitritt der Region notwendig sind, nachlässt. Dies ist einer der Gründe, warum die Europäische Kommission zugesagt hat, den Reformprozess in der Region zu fördern, indem sie nach dem Gipfeltreffen des Berliner Prozesses 2023 zusätzliche 2 Mrd. EUR in Form von Zuschüssen und 4 Mrd. EUR in Form von Darlehen für die westlichen Balkanstaaten bereitstellen wird. Mit diesen Mitteln soll das BIP-Wachstum in den westlichen Balkanländern angekurbelt und so die EU-Integration der Region bis zum Jahr 2030 beschleunigt werden.
Es bleibt abzuwarten, ob die Europäische Kommission ihr Ziel, die westlichen Balkanländer in die EU zu integrieren, erreichen wird. Serbien muss sich noch klar zu einem EU-Beitritt bekennen, da dies mit den geoökonomischen und geopolitischen Interessen Chinas und Russlands auf dem Westbalkan kollidieren würde.