Im aktuellen Sicherheitskontext hängt die Fähigkeit Europas, sich zu verteidigen, von der Schaffung einer europäisierten Verteidigungsindustrie ab. Der EU-Verteidigungsmarkt ist jedoch fragmentiert und durch eine begrenzte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet. Dieser Mangel an Integration stellt Europas Bestreben nach strategischer Autonomie und Gleichstellung mit den USA in Sicherheits- und Verteidigungsfragen vor erhebliche Herausforderungen.
Murat Gibadyukov
25. August 2023
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Der derzeitige Zustand des EU-Verteidigungsmarktes weist eine begrenzte Zusammenarbeit auf, was die Mitgliedstaaten dazu veranlasst, einzelne Verteidigungsprojekte und Beschaffungsstrategien zu verfolgen. Dieser fragmentierte Ansatz führt zu Ineffizienzen, erhöhten Kosten und unzusammenhängenden Operationen. Um die Position der EU als globaler Sicherheitsakteur zu stärken, ist eine einheitliche Strategie unabdingbar. Ein solcher Ansatz würde es ermöglichen, Ressourcen und Fähigkeiten zu bündeln und so die Verteidigungsfähigkeit und strategische Autonomie zu stärken.
Die Europäische Union hat wichtige Schritte zur Vereinheitlichung der Verteidigungsindustrie unternommen, um die Herausforderungen der Fragmentierung zu bewältigen und ihre kollektiven militärischen Fähigkeiten zu verbessern. Initiativen wie die Europäische Friedensfazilität (EPF) und der Act in Support of Ammunitions Production (ASAP) zeigen das Engagement der EU, die Zusammenarbeit bei der militärischen Produktion zu unterstützen, um mehr Autonomie zu erreichen und Versorgungsengpässe zu überwinden. Darüber hinaus hat sich die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) an die Spitze der Bemühungen gestellt, die Beschaffung von Militärgütern zwischen 24 EU-Mitgliedstaaten und Norwegen zu koordinieren und die Beschaffung von 155-mm-Artilleriemunition zu erleichtern, um die Fähigkeiten der ukrainischen Armee zu stärken.
Die unterschiedlichen Normen, Vorschriften und Zertifizierungsverfahren in den EU-Mitgliedstaaten behindern jedoch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Verteidigungsindustrie. Darüber hinaus birgt die Abhängigkeit von außereuropäischen Lieferanten für wichtige Verteidigungstechnologien Sicherheitsrisiken.
In diesem Zusammenhang machte der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki kürzlich deutlich, dass Polen die Zusammenarbeit mit der US-Verteidigungsindustrie weiter vertiefen will: „Polen will die stärkste Armee in Europa aufbauen. Deshalb wollen wir mit der fortschrittlichsten Rüstungsindustrie der Welt zusammenarbeiten, nämlich mit der amerikanischen.“ Zusätzlich zu Polens Vorliebe für die Zusammenarbeit mit der US-Rüstungsindustrie hat das Land auch einzelne Geschäfte mit anderen Nicht-EU-Ländern getätigt und so zur Fragmentierung des EU-Rüstungsmarktes und des EU-Sicherheitszusammenhalts beigetragen.
Ein bemerkenswertes Beispiel ist das jüngste Panzer-Geschäft zwischen Polen und der Republik Korea (ROK). Polen schloss ein bedeutendes Abkommen über den Kauf von 120 Kampfpanzern des Typs K-2, die von der ROK hergestellt werden, und über die Einrichtung einer Produktionslinie in Polen zur Herstellung von weiteren 800 Stück für seine Streitkräfte. Die Entscheidung Polens, ein so bedeutendes Verteidigungsgeschäft mit einem Nicht-EU-Partner abzuschließen, anstatt mit anderen EU-Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten, unterstreicht die vorherrschende Fragmentierung des EU-Verteidigungsmarktes.
Darüber hinaus führt das Fehlen eines einheitlichen Beschaffungswesens zu Unterschieden in der militärischen Stärke der EU-Mitgliedstaaten, von denen einige über fortschrittliche technologische Fähigkeiten verfügen und andere hinterherhinken. Der Ansatz der EU bei der Beschaffung von Kampfflugzeugen verdeutlicht diese Ungleichheit. Derzeit konkurrieren auf dem EU-Markt drei Typen von europäischen Kampfflugzeugen mit der US-amerikanischen F-35, wobei sich die meisten europäischen Länder für letztere entscheiden. Dieser fehlende Konsens über ein gemeinsames Kampfflugzeug macht es schwierig, gemeinsam auf Sicherheitsbedrohungen zu reagieren, und schwächt die Position der EU auf der Weltbühne. Man muss sich daher fragen: „Qui bono“?
Eine einheitliche Beschaffungsstrategie würde eine Lösung für diese Herausforderungen bieten. Durch die Harmonisierung von Standards und die Minimierung von Redundanzen kann die EU ihre Verteidigungsbudgets optimieren, ihre Verhandlungsposition stärken und eine wettbewerbsfähige europäische Verteidigungsindustrie fördern. Inmitten dieser Marktfragmentierung haben sich einige europäische Staats- und Regierungschefs, wie der französische Präsident Emmanuel Macron, für eine unabhängige europäische Sicherheit und ein starkes Europa stark gemacht. In seiner Grundsatzrede am Nexus-Institut in Den Haag im April 2023 betonte Macron die Notwendigkeit, die europäische Souveränität zu verteidigen und zu erhalten, und legte einen Fahrplan für eine umfassende wirtschaftliche Sicherheitsdoktrin für die EU fest. Seine Vision für Europa beinhaltet eine einheitliche Verteidigungsindustrie, die es der EU ermöglicht, unabhängige Entscheidungen zu treffen und ihre eigene Außen- und Sicherheitspolitik zu bestimmen.
Um diese Herausforderungen zu bewältigen und eine europäische strategische Autonomie zu erreichen, sind eine engere Zusammenarbeit und gemeinsame Projekte zwischen den EU-Mitgliedstaaten unerlässlich. Die EU will die Konvergenz bei der Rüstungsbeschaffung durch Mechanismen wie den European Defense Industry Reinforcement through Common Procurement Act (EDIRPA) verbessern, der die Notwendigkeit eines einheitlichen Beschaffungssystems anerkennt, das gemeinsame Käufe ermöglicht und Größenvorteile zur Kostensenkung und Verbesserung der Interoperabilität fördert.
Die Umsetzung solcher Initiativen ist jedoch komplex und erfordert einen sensiblen Umgang mit nationalen Interessen und Sicherheitsbelangen. Eine wirksame Konsolidierung des Angebots könnte dazu führen, dass einige Mitgliedstaaten bestimmte Verteidigungsfähigkeiten und -vorteile verlieren, aber dieser Schritt ist notwendig, um die europäischen Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeiten zu stärken und letztlich die Autonomie auf europäischer Ebene zu fördern. Eine koordinierte Verteidigungsplanung ist unerlässlich, um sicherzustellen, dass die militärischen Fähigkeiten auf komplementäre und wirksame Weise entwickelt und erhalten werden.
Schließlich können Investitionen in die Verteidigungsforschung und -entwicklung auf EU-Ebene die Innovation und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Verteidigungsindustrie fördern. Die EU muss das Wachstum einer robusten und wettbewerbsfähigen europäischen Verteidigungsindustrie unterstützen, um die Abhängigkeit von außereuropäischen Lieferanten zu verringern.
Dies erfordert den politischen Willen und das Engagement aller EU-Mitgliedstaaten, auf gemeinsame Verteidigungsziele und -strategien hinzuarbeiten, um diese Ziele zu erreichen. Dies wird die EU in die Lage versetzen, die Fragmentierung zu überwinden und ihre Verteidigungskapazitäten zu stärken, indem sie auf dem Weg zu einer größeren strategischen Autonomie und einem gleichberechtigten Status mit anderen globalen Sicherheitsmächten voranschreitet.