Die israelfreundliche Ausrichtung des Silicon Valley und die Millionen von Dollar, die die israelische Regierung und ihre Unterstützer für Online-Werbekampagnen auf Plattformen wie YouTube, Instagram und TikTok ausgeben, haben nicht verhindert, dass sich die öffentliche Meinung weltweit von Israel abwendet und dem palästinensischen Volk und seiner Sache zuwendet. Dieser Meinungsumschwung in der Weltöffentlichkeit kommt für Israel zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Die vorläufige Entscheidung im Völkermordprozess vor dem Internationalen Gerichtshof (ICJ), den der nicht-arabische, christliche Staat Südafrika gegen Israel eingeleitet hat, wird in den kommenden Wochen fallen.
Alexandra Dubsky, 22. Jänner 2024
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Das Silicon Valley ist fest in israelischer Hand und in dessen Unterstützer. Stimmen, die es wagen, sich zur Unterstützung der Palästinenser und ihrer Interessen zu äußern, oder die auf die Heuchelei zahlreicher westlicher Politiker hinweisen, werden verfolgt und wenn möglich zum Schweigen gebracht.
In einem Versuch, die Weltöffentlichkeit in Südafrikas Völkermordprozess am internationalen Gerichtshof zu beeinflussen, hat Israel eine Anzeige gesponsert, in der das südafrikanische Land der „böswilligen Blutverleumdung“ online beschuldigt wird. Der Link auf der Website leitet die Internetnutzer zu einer von der Israel National Digital Agency betriebenen Website. Der Begriff Blutverleumdung stammt aus dem Mittelalter, als Juden beschuldigt wurden, christliche Jungen zu ermorden, um ihr Blut für jüdische religiöse Rituale zu verwenden.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vergleicht die israelischen Kriegshandlungen mit der biblischen Geschichte von Amalek, in der Gott König Saul befiehlt, alle Einwohner des mit dem alten Israel rivalisierenden Staates zu töten, einschließlich Frauen und Kinder. Netanjahus Kabinett hat dazu aufgerufen, den Gazastreifen „platt zu machen“, „zu zerstören“ und „auszuradieren“.
Ärzte, die in Krankenhäusern in Gaza arbeiten, haben ein schreckliches neues Akronym erfunden und über die sozialen Medien verbreitet: WCNSF – verwundetes Kind, keine überlebende Familie. Jeden Tag werden über zehn palästinensischen Kindern ein oder beide Beine amputiert, meist ohne Betäubung. Im Gespräch mit der BBC sagte Dr. Tanya Haj Hassan von Ärzte ohne Grenzen, dass das Akronym „nur im Gazastreifen verwendet wird“.
Dieser Krieg wurde zudem von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und anderen internationalen Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen (MSF), dem Roten Kreuz oder der britischen Wohltätigkeitsorganisation Oxfam als „der tödlichste Konflikt des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet.
Die IDF hat daher Reporter und prominente Israel-Unterstützer von Elon Musk und Jerry Seinfeld bis hin zu TikTok-Influencern zu den Kibbitzes am 7. Oktober eingeladen, und in den israelischen Botschaften wird weltweit ein 43-minütiges Video über die Gräueltaten der Hamas gezeigt. Doch die meisten der vom jüdischen Staat begangenen Verbrechen werden in den lokalen Medien nicht berichtet, sagt der israelische Journalist Gideon Levy und fügt hinzu, dass er auf Medienkanäle wie Al Jazeera oder TRT zurückgreift, „um ein umfassendes Bild zu bekommen.“
Die Entmenschlichung der Zivilbevölkerung des Gazastreifens hat in Israel eine lange, traurige Geschichte. Haaretz-Mitarbeiterin Amira Hass bestätigt, dass der Rückzug der israelischen Öffentlichkeit aus der Berichterstattung über das Leiden der Palästinenser lange vor dem 7. Oktober 2023 begann. „Es gibt eine Ignoranz und einen Mangel an Bereitschaft, palästinensische Stimmen seit vielen Jahren zu hören, sicherlich seit der zweiten Intifada“, sagte sie.
In einem im Dezember 2023 veröffentlichten Bericht von Human Rights Watch heißt es, dass dem Facebook- und Instragram-Anbieter Meta vorgeworfen wird, Stimmen, die Palästina unterstützen, zunehmend zum Schweigen zu bringen. Der 51-seitige Bericht, „Meta’s Broken Promises: Systemic Censorship of Palestine Content on Instagram and Facebook“ (Systemische Zensur von Palästina-Inhalten auf Instagram und Facebook) dokumentiert ein Muster der exzessiven Entfernung und Unterdrückung geschützter Äußerungen, einschließlich friedlicher Unterstützungsbekundungen für Palästina. Human Rights Watch fand heraus, dass das Problem auf fehlerhafte Meta-Richtlinien und deren inkonsistente und ungenaue Umsetzung, übermäßiges Verlassen auf automatisierte Tools zur Moderation von Inhalten und ungerechtfertigten Einfluss der Regierung auf die Entfernung von Inhalten zurückzuführen ist.
Im Dezember 2023 verbannte Meta den Aktivisten für soziale Gerechtigkeit, Shaun King, von Instagram. King, der für sein Engagement in den sozialen Medien für Black Lives Matter bekannt ist, hatte mehr als 5 Millionen Nutzer, bevor sein Konto an Weihnachten gelöscht wurde. Vor seiner Löschung hatte King seine Unterstützung für das palästinensische Volk deutlich gemacht. Ein Meta-Sprecher bestätigte, dass „das Konto aufgrund mehrerer Fälle von Lob für bestimmte Organisationen, die gegen unsere Richtlinien verstoßen, deaktiviert wurde“, ohne auf Kings Verstöße einzugehen.
Diese pro-israelische Zensur kommt nicht überraschend. Das Silicon Valley wird traditionell von einer starken Israel-Lobby dominiert, zu der auch Mark Zuckerberg und Google-CEO Sundar Pichai gehören.
Gegen den Strom des Silicon Valley schwimmt eine abweichende Stimme: Der in New York ansässige Tech-Innovator Paul Biggar, der darauf hinweist, dass das Schweigen der Tech-Industrie Israel bei den Versuch Israels, hilflose palästinensische Zivilisten auszulöschen, weiterhin ermutigt. Sein Blog-Beitrag ‚I can’t sleep‘ wurde von Millionen Menschen gelesen. „Die Unmenschlichkeit der Soldaten ist unerträglich. Sie erschießen Zivilisten auf der Straße, sperren Kinder ein und foltern sie, entkleiden und demütigen unschuldige Männer“, schrieb er in dem Beitrag. Es ist widerlich, dass diese IDF-Soldaten ihren „Spaß“ auf TikTok posten. Kriegsverbrechen werden verharmlost und die Opfer werden verhöhnt.
Wie viele andere pro-palästinensische Stimmen wurde Briggar etwa eine Woche nach seinem ersten Blogbeitrag aus dem Vorstand von CircleCI, einem von ihm gegründeten Technologieunternehmen, entfernt.
Für Palästinenser zu sein, ist lebensgefährlich geworden: Viele werden mit Todesdrohungen, “ Verleumdung“ und Kündigung konfrontiert, weil Hunderte von israelischen Trollen ausschwärmen, um pro-palästinensische Aktivisten anzugreifen.
Seit dem 7. Oktober gingen beim Rat für amerikanisch-islamische Beziehungen (Council on American-Islamic Relations, CAIR) Tausende von Beschwerden über Diskriminierung, Hilfeersuchen und Verstöße gegen das Recht des Bürgers auf Meinungsfreiheit ein. Im Dezember 2023 verzeichnete CAIR 2171 Vorfälle in den ersten 60 Tagen des israelischen Krieges gegen den Gazastreifen – ein Anstieg um 172 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres. Eine dieser Beschwerden wurde von Ayah Mansour eingereicht, einer 24-jährigen palästinensischen Amerikanerin, die von der Firma Target entlassen wurde, nachdem sie sich gegen die Tötung von Zivilisten in Gaza ausgesprochen hatte.
Im November 2023 berichtete die unabhängige Online-Plattform The Intercept, dass Anzeigen, die Palästinenser entmenschlichen und zur Gewalt gegen sie aufrufen und die bewusst darauf abzielen, die Moderationsstandards von Facebook zu testen, alle von dem sozialen Netzwerk genehmigt wurden.
Einige dieser Anzeigen enthielten gewalttätige Inhalte, die direkt zur Ermordung palästinensischer Zivilisten aufriefen, darunter Anzeigen, in denen ein „Holocaust für die Palästinenser“ und die Auslöschung von „Frauen, Kindern und älteren Menschen im Gazastreifen“ gefordert wurde. Andere Beiträge, wie jene, in denen Kinder aus Gaza als „zukünftige Terroristen“ bezeichnet wurden, und ein Verweis auf „arabische Schweine“ enthielten entmenschlichende Sprache. In einer Facebook-Anzeige wurde ausdrücklich zur Ermordung des amerikanischen Aktivisten Paul Larudee, einem Mitbegründer der Free-Gaza-Bewegung, aufgerufen.
Der Aufruf zur Ermordung eines politischen Aktivisten ist ein Verstoß gegen die Vorschriften von Facebook. Die Tatsache, dass der Beitrag auf der Plattform erschien, zeigt, dass Facebook ihn trotz dieser Bestimmungen genehmigt hat. „Wir wissen, dass Meta in der Vergangenheit nicht genug getan hat, um marginalisierte Gemeinschaften zu schützen“, sagte Nadim Nashif, Gründer der palästinensischen Social-Media-Gruppe 7amleh.
Trotz aller Bemühungen Israels und des Silicon Valley hat sich die Weltmeinung stark zugunsten der palästinensischen Sache verändert. Angesichts der zunehmenden Kritik der USA an Netanjahu wird die bevorstehende Entscheidung des ICJ ein entscheidender Schritt gegen Israels Versuch sein, die Palästinenser auszulöschen und seinen Völkermord in Gaza zu beenden. Aber wird dies weiteres Blutvergießen verhindern? Nicht, wenn Netanjahu und seine Gefolgsleute weiterhin das Sagen haben.